Rezension

Bittersüße Marillen

Das Marillenmädchen - Beate T. Hanika

Das Marillenmädchen
von Beate T. Hanika

Bewertet mit 5 Sternen

Beate Teresa Hanika - Das Marillenmädchen - btb

Wien,1940 und Jetzt
Die Familie Shapiro lebt im Wien, der 40jahre. Drei Schwestern und ein Haus mit Garten, in dem ein Marillenbaum steht. Das tut er heute noch und
zwischen seinen gelben Früchten hängt eine bittersüße Geschichte, die uns Elisabetta, als junges Mädchen und als alte Frau erzählt.

Rahel, Judith und Elisabetta, so haben der Arzt und die Opernsängerin ihre Töchter genannt.
Elisabetta jedoch, schimpft sich selbst "Kobold", da ihre Schwestern mit Schönheit und Anmut überschüttet wurden, sie selbst ist ein drahtiges Energiebündel mit struppigen Haaren.

Manchmal tut es weh, wenn die Jungs sich hinter dem Zaunloch streiten, nur um einen Blick auf die sonnenbadenden Schwestern zu erhaschen.
Leider ist auch Franz, der Nachbarsjunge dabei, mit dem sie sich schon den ganzen Sommer um die Wette neckt und prügelt, die beiden gehen nicht zimperlich miteinander um.
Elisabetta verliebt sich in Franz.
Während eines Fliegeralarms, fasst sich Franz ein Herz und packt Elisabetta. Im Schutz der Dunkelheit küsst er sie solange, bis die Sirene schweigt.
Eines Nachmittags muß Elisabetta mitansehen, wie Soldaten in glänzenden Stiefeln, ihre gesamte Familie festnehmen, sie kommen nie zurück.

Nun ist sie alt und denkt an das Glas Marillenmarmelade, das ihre Mutter damals mit Arsen verfeinerte. Für den Notfall..
Eine junge Tänzerin bewohnt eine Kammer in dem Shapiro-Haus und sorgt für frischen Wind in Elisabettas grauen Gedanken.
Das Mädchen kann eine ganz andere Geschichte erzählen und so unwahrscheinlich es klingt, es hat sich ein Netz über beider Schicksale gelegt.
Elisabetta wird von ihren Schwestern heimgesucht, deren Geister erzählen ihr alles, was in Dachau geschah. Rahels ruheloser Hass zermürbt sie,
doch der kleine Kobold von damals, möchte Vergebung.

Allein von der schönen Sprache her, liebe ich dieses Buch, heiß und innig.
Es ist keine Poesie, die das Hirn zuklebt und verknotet, jeder Satz ergibt ein klares Bild im Kopfkino.

Aber das ganz Besondere an dem Buch ist:
★ Es ist witzig, wütend, zynisch, ironisch, ja sogar romantisch.
★ Es ist zur gleichen Zeit gefühlsgeladen, wie emotionslos und gleichmütig.
★ Es kommt eine Harmonie auf, die man guten Gewissens gar nicht wahrhaben will.
★ Es sollte grausam und vernichtend sein, aber da, lässt uns Elisabettas eigentümliche Art und ihr Entschluss, nicht mehr hassen zu wollen, außen vor.

Die Autorin ist sich bewusst, dass es genügend verantwortungsvolle Leser gibt, die nicht immer eine eiskalte Hand erwarten, die nach ihnen greift,
dass sie trotzdem verstehen, ihre Erkenntnisse gerecht verwalten. Feine Töne verlieren nicht an Schärfe, nur weil sie "leise" sind. So konnte ich mich
auf diese wunderbare Geschichte konzentrieren und erst am Schluss, gestattete ich mir ein paar Tränen, weil es traurig und schön zugleich war.

Ich bin begeistert! Bitte mehr davon!