Rezension

Bleibt hinter meinen Erwartungen zurück

Was dir bleibt -

Was dir bleibt
von Jocelyne Saucier

Bewertet mit 3 Sternen

Eine neue Art von Einsamkeit

„Lisana, meine Tochter“, sagte sie zu der einen. „Janelle, meine Freundin, zu der anderen. Mit dünner, kaum noch hörbarer Stimme fügte sie hinzu: „Ihr könntet Schwestern sein“, und dann führte sie Janelles und Lisanas Hände zusammen und legte ihre eigene darüber.

Inhalt

Dies ist die Geschichte der 76-jährigen Gladys, die sich auf eine letzte Reise macht und in den Zügen im Norden von Kanada etwas sucht, was es ihr leichter machen wird, ihre psychisch kranke Tochter zurückzulassen. Denn während Gladys trotz der vielen Schicksalsschläge, die sie erleben musste, eine positiv denkende Frau geblieben ist und selbst mit dem nahenden Tod ihren Frieden geschlossen hat, ahnt sie, dass Lisana irgendjemanden brauchen wird, wenn sie als ihre Mutter nicht mehr für sie da sein kann. Tatsächlich begegnet ihr auf dieser einsamen, abenteuerlichen Fahrt eine junge Frau namens Janelle, die bisher jeder Verantwortung erfolgreich aus dem Weg gegangen ist und nun doch nichts anderes kann, als sich der todkranken Mitreisenden anzunehmen. Und Gladys gelingt es, ihre Mission erfolgreich zu erfüllen: sie bringt Lisana und Janelle an ihrem Sterbebett zusammen und vertraut einmal mehr auf das Gute in den Handlungen ihrer Mitmenschen …

Meinung

Nachdem ich erst dieses Jahr den Roman „Ein Leben mehr“ von der kanadischen Autorin Jocelyne Saucier gelesen habe und davon absolut begeistert war, bin ich voller Vorfreude an ihr aktuelles Buch herangegangen, in Erwartung einer ebenso empathischen und bedeutungsvollen Lektüre. Nur leider konnte dieses Buch hier weder das eine noch das andere Attribut für sich beanspruchen und hinterlässt deshalb einen mäßigen Gesamteindruck bei mir.

Zunächst liegt das an der gewählten Erzählperspektive, die für ein Höchstmaß an Distanz sorgt, da Gladys Geschichte förmlich von einem Fremden aufgegriffen wird. Er selbst interessiert sich für Züge, setzt sich für den Erhalt der Bahnverbindungen ein, selbst wenn diese alles andere als wirtschaftlich rentabel sind. Für den namenlosen Erzähler, der sich als Lehrer in der nordkanadischen Provinz verdingt, wird die Odyssee der alten Dame zur Passion. Denn ebenjene Menschen, die Gladys Wege kreuzten, sind nun wie von Zauberhand zu seinem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis geworden. Allen voran die schillernde Janelle, die immer auf der Suche nach Veränderung ist und mit der ihm eine kurze aber intensive Affäre verbindet. Er schildert in mäandernder Art und Weise seine Berührungspunkte mit diesen Menschen und die Rolle, die sie in Gladys Leben gespielt haben – Nachbarn, Freunde, Bekannte, sie alle tauchen hier auf, hinterlassen viele Spuren aber wenig Eindruck.

Auch die eingeflochtenen Nebenerzählungen über die school trains sorgen für Abwechslung und interessante Hintergründe, bieten aber für die Kernhandlung kaum Mehrwert. Der Roman, der im Selbstverständnis des Erzählers eher ein loser Bericht sein soll, verzettelt sich immer wieder zwischen der Vergangenheit und Gegenwart und lässt auf keiner Ebene einen emotionalen Zugang entstehen.

Gerade die Thematik des Sterbens und Loslassens wird mannigfaltig beleuchtet aber eher sachlich und ohne tiefe Intensität, manchmal fast verklärt im Angesicht eines schweren Krebsleidens. Besonders im letzten Drittel des Buches verliert sich der Zusammenhang, weil sich immer mehr Willkürlichkeiten einschleichen und lose Fäden im Raum stehenbleiben: die Tochter, die Freundin, die Bekannte, der Erzähler – jedes Leben geht irgendwie weiter, so wie es eben gerade ist, mit den nächsten Höhen und Tiefen.

Und während am Anfang noch ein gemütliches, fast entschleunigendes Erzähltempo vorherrschte, verliert sich die Atmosphäre der Geschichte zunehmend, ähnlich wie bei einem vorbeibrausenden Zug, dessen Eindruck sich schnell verflüchtigt, sobald er weitergefahren ist.

Wirklich gut gefallen hat mir hingegen der Schreibstil, die Wortwahl, die schönen Sätze, denen man nachspüren möchte. Aus diesem Grund war das Leseerlebnis trotz vieler Schwächen keine Zeitverschwendung.

Fazit

Leider werden es diesmal nur 3 Lesesterne für einen gut geschriebenen Roman, der sich auf Grund zu vieler angeschnittener Themen mehr und mehr verzettelt, statt sich auf etwas zu fokussieren. Das größte Manko ist seine unbeteiligte Sicht auf das Leben und Wirken Einzelner, denn alle Figuren bleiben blass und scheinen austauschbar.

Nach dem Lesen kann man nur schwer etwas mitnehmen, es bleibt der Eindruck, dass alles im Fluss ist und stets in Bewegung. Bücher, bei denen sowohl die Story als auch die Protagonisten so distanziert bleiben, mag ich nicht sonderlich und eine klare wichtige Aussage, die einfach nicht getroffen wird, schmälert mein Vergnügen ebenfalls. Vielleicht kann mich die Autorin mit ihrem Roman „Niemals ohne sie“ wieder begeistern, der wartet hier schon auf mich.