Rezension

Celebrities im Frühkolonialismus

Ein Raum aus Blättern -

Ein Raum aus Blättern
von Kate Grenville

Bewertet mit 3 Sternen

In Australien ist Kate Grenville eine renommierte Autorin. Nun will sie auch bei uns Fuß fassen. Mit Frauenliteratur. *seufz*.

Dass die australische Nation „auf dem Rücken der Schafe reitet“, ist allgemein bekanntes Kulturgut in Downunder und jedes Kind kenne die Macarthurs, sagt Kate Grenville in ihrem bezaubernden Vorwort. John Macarther (1767 bis 1834) gilt als Vater der Wollindustrie. „Überall in Australien sind in Anerkennung seiner Leistungen Straßen, Schwimmbäder und Parks nach ihm benannt.“ In Europa kennt ihn kein Schwein, will sagen, ist er weniger bekannt.

Kate Grenville will uns die Persönlichkeit dieses Mannes nahebringen und die europäischen Wissenslücken schließen. Aber viel mehr noch möchte sie unsere Aufmerksamkeit auf die Frau lenken, die hinter dem erfolgreichen Mann gestanden hat, Elizabeth Macarther. Die Quellenlage ist freilich dünn. So ist Kate Grenville auf ihr tiefes Einfühlungsvermögen in die damalige Zeit und ihre brillante Erfindungsgabe angewiesen. Und so tischt sie der Leserschaft einiges auf … ! Glaub es oder glaub es nicht. Vielleicht war es so oder vielleicht doch ganz anders, jedenfalls höchst erstaunlich!

 Australien war eine Sträflingskolonie. Sydney war der erste Anlaufspunkt der Überseeschiffe. Die Reise dorthin von England aus dauerte viele Monate. Der Bericht der schwangeren Elizabeth über die Beschwerlichkeiten der Überfahrt ist sehr eindrücklich.

An Land angekommen leben Offiziere und Soldaten zunächst unter trostlosen Verhältnissen. Angewiesen auf spärlich ankommende Versorgungsschiffe aus dem Mutterland und unfähig sich vom Land zu ernähren wie die Eingeborenen, hungert man stilvoll. Auf Damast und mit Kelchgläsern und von feinem Porzellan eine Hungerration zelebrierend, so hält man die englische feine Lebensart aufrecht. Galgenhumor und Contenance. Später, als man sich eingelebt hat, rottet man die Eingeborenen aus. Das ist dann weniger feine englische Lebensart. Kate Grenville gelingt es mit leichter Feder das dualistische britische Weltbild aufs Papier zu bringen.

Von der Farmarbeit und der beginnenden Wollindustrie, die die Macarthurs berühmt gemacht haben, erfahren wir als Leser indes wenig. Die Autorin konzentriert sich auf viel Innerlichkeit. Mit Genuß widmet sie sich dem fragilen Gebilde einer Vernunftehe und versetzt uns in das Herz und in die Gefühlswelt der weiblichen Protagonistin, die wir so gerne als Heldin erlebt hätten, als Farmerin, die aber nur im Hintergrund die Fäden zieht und im Geheimen sexuelle Freiheit findet. Das Macarthersche Ehebett muss mit neun Kindern, die daraus hervorgingen, lebhaft gewesen sein, doch nur einseitig erfüllend, behauptet die Autorin.

Ob wir Elizabeth Macarthur wirklich kennengelernt haben in diesem Roman, wage ich zu bezweifeln. Anyway, ein Frauenschicksal zu jenen Zeiten hätte leicht so ausschauen können. Wie gesagt, die Quellenlage ist dürftig.

Wie schwierig es heute immer noch ist, zu bereuen, was man den Indios antat, kommt in dem Schlusswort Elizabeth Macarthurs zum Vorschein: „Ich bin nicht bereit, ihnen zurückzugeben, was ihnen gehört."  Das ist des Pudels harter Kern.

Bei dem Versuch, sich Elizabeth Lebenslauf anzunähern, ist ein poetischer, fast lyrischer Roman entstanden, der die Schönheit der fremden Flora wunderschön beschreibt, so dass man denkt, man sei in die naturverklärende Romantik der deutschen Dichter zurückversetzt worden. Es hätte nicht gewundert, wenn Elizabeth endlich die blaue Blume gefunden hätte. Australien Sehnsuchtsort. Man merkt, wie sehr die Autorin ihre Heimat liebt.

 Doch bei allem Staunen über die botanischen Naturwunder Australiens wird die Hässlichkeit europäischer Siedlungspolitik nicht verschwiegen, was bedeutet, dass die Leserschaft unvermittelt aus einem blumigen Märchen in die blutige Realität plumpst. Allerdings plumpst man in Pastell. Schade eigentlich, der Aufschlag hätte härter ausfallen dürfen!

Fazit: In dieser phantsievollen fiktiven Frauenbiografie fühlt man sich wie in ein Aquarell gemalt. Dann wacht man auf und sucht das Merinoschaf.

Kategorie: Frauenroman
Verlag: Nagel und Kimche, 2021