Rezension

"Da könnt ihr getz mal drüber nachdenken." ~ S. 46

Dschihad Calling - Christian Linker

Dschihad Calling
von Christian Linker

Bewertet mit 4 Sternen

INHALT
Jakob hat gerade sein Abitur bestanden und beginnt sein Studium an der Universität. Er zieht von zu Hause aus und wird selbstständig. Als er sich dann in Samira verliebt und versucht an ihrem Leben teilzuhaben, gehört auch ihre Religion dazu. Samira ist Islamistin - genauer ist sie Teil derultrakonservativen Salafisten. Je mehr er sich mit Samira und ihrer Religion beschäftigt, desto mehr faszinieren ihn die Gemeinschaft und das Gedankengut. Er bricht alle alten Kontakte ab und verpflichtet sich einemneuen Leben. Als er jedoch aufgefordert wird für den Islamischen Staat in den Krieg zu ziehen, muss er eine Entscheidung treffen.  

MEINUNG
Vermutlich hätte ich im Buchladen nie zu diesem Buch gegriffen. Gerade weil das Thema momentan aktuell und hoch brisant ist, hat sich mein Kopf irgendwie gesträubt. Ich wollte kein Buch lesen, dass vermutlich den Islam verteufelt oder das Thema Radikalisierung in einem Jugendbuch abgeschwächt darstellt. Als ich dann vom Bloggertreffen auf der Leipziger Buchmesse mit Christian Linker erfahren habe, habe ich doch zum Buch gegriffen. Den Autor treffen und sein aktuelles Buch nicht gelesen haben kam für mich einfach nicht in Frage.

"Aber sie scheinen zum Hass gar nicht fähig zu sein. Sie ertragen uns, wie sie zuvor den Terror des Assad-Regimes ertragen haben." ~ S. 207

Plötzlich war ich von der Geschichte gefesselt. Die langsame Radikalisierung wirkte für mich realistisch und unglaublich nachvollziehbar. Christian Linker hat es für mich geschafft einen glaubwürdigen Einblick in die Radikalisierung Jugendlicher zu schaffen ohne dabei den Islam zu verurteilen. Eigentlich ist das genaue Gegenteil der Fall. Der Dschihad kommt definitiv nicht gut weg und muss einiges einstecken, aber dennoch wird das Positive im Islamhervorgehoben. Für mich hilft es irgendwie zu vermitteln und räumt vorschnelle Vorurteile aus. Es ist eben nicht jeder Islamist gleich ein Terrorist - möchte für Ideale kämpfen, die mit unseren Wertvorstellungen nicht kompatibel sind. Der Islam hat so viel mehr zu bieten und genau das kommt in dem Buch auch rüber. Jeder sollte für sich selbst entscheiden können WIE er glaubt. Für mich würde der Islam zwar nicht in Frage kommen, aber ich finde es einfach lobenswert, dass Menschen anderen Glaubens nicht per se verurteilt werden.

Besonders spannend waren für mich die unterschiedlichen Perspektiven. Auf der einen Seite lernen wir Jakob kennen und erfahren wie er sich in der Gegenwart langsam radikalisiert. Da seine Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt wird, kann man sich besonders gut in ihn hineinversetzen und versteht seine Gedankengänge - auch wenn man nicht immer mit diesen übereinstimmt. Jakob trifft einige Entscheidungen, die ihn unglaublich unsympathisch machen; und damit meine ich nicht die eigentliche Entscheidung sich den Salafisten anzuschließen. Seine Geschichte ist auf jeden Fall sehr mitreißend. Parallel kriegen wir auch einenEinblick in die Zukunft. Direkt im Prolog erhält Jakob im Gefängnis (Einblick in seine Zukunft) ein Päckchen mit einem Tagebuch, welches Samiras Bruder Adil geschrieben hat, als er nach Jakobs Verhaftung alleine im Islamische Staat für den vermeintlichen Frieden weiterkämpft. Diese Tagebuchpassagen zeigen wie es laufen kann, wenn man sich bereits dafür entschieden hat sich dem Dschihad anzuschließen. Das Ende kam für mich auf jeden Fall überraschend, aber es war spannend gestaltet und grausam. Bevor ich mich in Spoilern verstricke, kann ich nur jedem dieses Buch ans Herz legen, da man sich durchaus realitätsnah in fiktiver Form in die Gedanken eines Jugendlichen wiederfindet, der sich von Gemeinschaft und der Liebe mitreißen lässt.

"Da könnt ihr getz mal drüber nachdenken." ~ S. 46 

FAZIT 
Christian Linker schafft es ein aktuell brisantes und politisches Thema für jeden verständlich zu erzählen. Sein Roman ist fesselnd, spannend und geht nah. Christian Linker verpackt hier nichts in Watte, sondern nennt die Dinge beim Namen. Wer sich einen Einblick in das islamische Leben und auch das Leben eines radikalisierten Jugendlichen wünscht, der sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Von mir gibt es 4 von 5 Punkten. Einer meiner Kritikpunkte ist das furchtbare "getz", welches einer der Charakter immer wieder aufgrund seines Dialekts verwendet (vlg. das Zitat oben) . Wer sagt sowas? ;)