Rezension

Das Gute im Bösen, das Böse im Guten

Gewissenlose Wege -

Gewissenlose Wege
von Georg Brun

Bewertet mit 4 Sternen

Unblutiger Krimi mit zum Nachdenken anregenden Themen und facettenreichen Charakteren

„Gewissenlose Wege“ von Georg Brun ist ein unblutiger Krimi mit pressanter Thematik und Wohlfühlkomponenten.

Worum geht es?
Ein namhafter Arzt ist verschwunden. Die Ehefrau ist besorgt und beauftragt den Privatdetektiv Alex mit der Suche. Zu seinem Team zählen die Rechtsanwältin Olga und die Computerspezialistin Sonja. Relativ schnell ist klar, dass der Arzt in illegale Organtransplantationen verwickelt ist.

Der Schreibstil ist teils flüssig, teils liebt der Autor auch lange, verschachtelte Sätze. Die Kapitel sind kurz, lediglich nummeriert, ohne Zeit- oder Ortsangaben. Das Buch erschien 2022. Die Handlung spielt in der nicht näher beschriebenen Gegenwart, vermutlich vor Ausbruch von Covid19, da es offensichtlich keinerlei Reisebeschränkungen gibt.

Die ersten Kapitel machen zunächst eher nur mit den Protagonisten bekannt, erklärt ihre Beziehungen zueinander. Gewisse Hinweise auf die Vorgeschichte erzeugen den Eindruck, man hätte ein Wissensmanko gegenüber Lesern, die auch Band 1 kennen. Es ist dies zwar nichts Fallrelevantes, dennoch würde ich empfehlen, mit dem ersten Band „Bodenloser Fall“ zu beginnen.

München und Istanbul sind die Orte der Handlung, das Flair beider Städte ist anschaulich, gut dosiert eingewoben, inklusive etwas Münchner Dialekt und türkischer Floskeln.

Die Ermittlungen gehen langsam voran, mit vielen Fragezeichen und mangelnder Kooperation aus dem Umfeld des Arztes. Selbst die Perspektivenwechsel von der Ermittler- zur Täterseite (einem von Zweifeln, Ängsten und negativen Vorahnungen geplagten Täter) lassen den Aufenthalt des vermissten Arztes und die Beweggründe seines Verschwindens lange im Dunkeln. Geschickt finden sich die Handlungsfäden der gegnerischen Seiten. Als sie aneinander geraten, nimmt die Handlung Fahrt auf und die Spannung – sogar mit etwas Action - zu.

Nichtsdestotrotz hat das Buch etwas. Nämlich von der Thematik her. Man wird mit den Facetten des illegalen Organhandels konfrontiert, aus der Sicht der leidenden Patienten, ebenso aus Sicht jener Menschen, die das organisieren, jener Ärzte, die sich darauf einlassen und operieren. Auch wenn Geldgier ein treibender Faktor ist und arme Menschen ausgenützt werden, so spielen dennoch auch hehre Motiv mit. Es ist eben nicht alles eindeutig gut oder böse. Die Charaktere der „Bösen“ sind in ihrer Zwiespältigkeit ausgezeichnet dargestellt – so kann ein musisch begabter, kulturell interessierter, Gewalt verabscheuender Mensch durchwegs über kriminelle Energie, über eine Art von Gewissenlosigkeit verfügen, nicht zuletzt durch seine Herkunft und Umwelt geprägt.

Die zweite Thematik, die mit hineinspielt, ist die Divergenz von Recht und Gerechtigkeit. Sogar eine gesetzestreue Anwältin kann u.U. nicht verhindern, dass jemand ungestraft davonkommt, sozusagen seine gerechte Strafe nicht erhält. Dass selbst eine Juristin moralisch fragliche Methoden gutheisst, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird, mag befremden, ist menschlich aber verständlich. Und zeigt auch in Olgas Charakter Ecken und Kanten. In diesem Sinne befriedigt auch das Ende des Buches nicht, entspricht aber eher der Realität. Recht und Gerechtigkeit sind eben nicht dasselbe.

Die Protagonisten Olga, Sonja, Alex und Dorothee sind sympathisch gezeichnet, mit problembehafteten Vorleben, erlittenen Verlusten. Nachdem es sich um frisch verliebte Pärchen handelt, lockern die romantischen Szenen nicht nur die doch bedrückende Organ-Thematik auf, sondern läuten quasi für sie auch neue Lebensabschnitte ein. Mag mancher Leser auch finden, es wäre zu viel Liebesgeflüster für einen Krimi vorhanden, so empfand ich es als Weiterentwicklung der Protagonisten. Noch besser, glaube ich, versteht man die tiefen Glücksgefühle, wenn man auch den ersten Band gelesen hat.

„Gewissenlose Wege“ ist ein etwas anderer Krimi, sehr vielschichtig, mit facettenreichen Charakteren, wo man durchwegs auch den Bösewicht sympathisch finden kann, mit viel kulturellen Nuancen, informativ, was die Organthematik anbelangt, und letztlich nachdenklich stimmend. Es ist vielleicht kein Buch, das einen von der ersten Seite her gefangen nimmt, doch im Zuge der Lektüre, wenn man die Aussage des Romans erkannt hat, spätestens dann wird man es – wie ich – gerne weiterempfehlen.