Rezension

Das mysteriöse Spiel

Das Glasperlenspiel - Hermann Hesse

Das Glasperlenspiel
von Hermann Hesse

Bewertet mit 4 Sternen

In diesem Spätwerk versucht der bekannte Autor Hermann Hesse eine Utopie von einem perfekten Bildungsweg zu beschreiben, bei dem sich der Schüler frei entfalten kann.

Diese Studienausgabe enthält im Anhang die alternativen Einleitungen und weiteren Lebensläufe Josef Knechts. Erst durch diese Ergänzungen wird erkenntlich, was das Glasperlenspiel Genaueres sein kann und was die Intention dieses Spätwerks Hesses sein kann. Auf diese Weise hätte das Buch 1933 bzw. 1934 garantiert nicht erscheinen können, denn Hesse sah Dinge hervor, die dann in der Realität umso schrecklicher geschehen sind. Da Hesse aber 1912 in die Schweiz emmigrierte, konnten die 4. Einleitung und die Kapitel einzeln in Tagesblättern trotz (harter) Kritik am NS-Regime/ an der Bildungselite der NS-Zeit noch während der Kriegsjahre erscheinen. Zudem könnte man behaupten, der Autor habe das Informationszeitalter kommen sehen.

Die Gesamtausgabe erschien ohne Zeitangaben und ohne Hinweise auf die Gegenwartsgeschichte der Entstehungszeit. Durch den Anhang wird aber klar, dass Josef Knecht bereits ums 22. Jahrhundert lebt.

Es geht um den Waisenjungen Josef Knecht, der aufgrund seines musikalischen Talents entdeckt wird und auf eine Elite-Schule geschickt wird. Dort erhält er eine strenge, geistige Erziehung und muss sein Können beweisen. Er schafft es nach Waldzell, wo er erste Einblicke in das mysteriöse Glasperlenspiel erhält und kann schließlich in Kastalien studieren. Es ist ein einsames Leben in einer Provinz, es ist nahezu mönchisch, aber es ist tief von (chinesischen) Askeseübungen durchdrungen. Josef ist sehr vorbildlich und findet seine Meister. Sowie einen Freund unter den (Austausch-)Schülern, die ein Jahr in Kastalien leben dürfen. Weil er so begabt ist, erhält er die Mission in ein benediktinisches Kloster zu gehen und den Abt auf die Seite von Kastalien zu ziehen, als Gönner, nicht als Bekehrter. Diese Aufgabe erledigt Josef sehr gut, er findet sehr gute Freunde unter den Mönchen und lernt das erste Mal etwas über das weltliche Leben, wenn auch nur theoretisch und mit Rückblick auf die Vergangenheit. Aber so hinterfragt er auch den Sinn und die Geschichte von Kastalien. Zurück in der "Heimat" wird Josef zum Nachfolger des großen Glasperlenspielmeisters gewählt. Er ist der jüngste Meister aller Zeiten und weiß nicht recht, was er davon halten soll. Und so muss Josef seinen eigenen Weg finden, den, der für ihn richtig ist. 

Während seiner Schul- und Studentenzeit musste Josef Gedichte bzw. 3 Lebensläufe von sich selbst in anderen Epochen (Urzeit, frühes Christentum, Indien) verfassen. So unterschiedlich sie auch sind, zeigen sie doch, welche Fragen ihn gerade beschäftigen und wie sich sein Charakter entwickelt. 

Dieses Werk ist auch ein Versuch einer Geistesgeschichte des Menschen. Sehr spannend und interessant gemacht. Man braucht wirklich viel Zeit und Geduld, um sich an den Schreibstil zu gewöhnen und allen Gedanken zu folgen. Aber dann ist es ein grandioses Stück Literatur, vielleicht auch "die Bibel der Geisteswissenschaften". 

Leider fehlt dieser Ausgabe eine genauere Interpretation des Textes, das wäre sicher sehr spannend gewesen. In den Vorgänger-Fassungen der Einleitung und in den alternativen Lebensläufen kommt zum Beispiel nichts von der chinesischen Lehre  vor. Warum nimmt sie in der Endfassung plötzlich eine so große Rolle ein? Und das, wo Kastalien ein ganz eigener Ort der geistlichen Welt ist. Und wieso wurde das Glasperlenspiel so abstrakt gehalten?