Rezension

Das Streben nach einer perfekten Welt

Eine fast perfekte Welt - Milena Agus

Eine fast perfekte Welt
von Milena Agus

Drei Generationen prallen in diesem neuen Roman der italienischen Autorin Milena Agus aufeinander. Ester, ihre Tochter Felicita und deren Sohn Gregorio. Ester hat sich immer danach gesehnt, der ärmlichen und beklemmenden Enge ihres kleinen sardischen Bergdorfes zu entkommen. Zusammen mit ihrem Mann Raffaele lässt sie Sardinien hinter sich und geht nach Genua und später nach Mailand. Doch auch dort wird sie nicht glücklich. Vielmehr zieht es sie in ihre Heimat Sardinien zurück, nach der wilden Schönheit und den bekannten Traditionen. Ihrer Tochter Felicita soll es einmal besser gehen, doch die geht unverheiratet und mit einem Kind in Cagliari ihre eigenen Wege. Der Enkel Gregorio träumt hingegen von einem Leben als Pianist, und verlässt für diesen Traum seine Heimat, um in New York sein Glück zu finden…

Über drei Generationen spannt die Autorin diesen gefühlvollen und nachdenklich stimmenden Roman, in dem sie ihrer Heimat und seinen alten Traditionen eine Bühne bietet. Dennoch kommt das italienische Flair, in dem die Kultur und Bräuche, das Leben in den kleinen sardischen Bergdörfern zum Leben erweckt wird, für meinen Geschmack etwas zu kurz. Vielmehr geht es um die Menschen, um Ester, Felicita und Gregorio. Allen ist das scheinbar unerfüllte Streben nach Glück gemeinsam. Ich fand alle drei gut charakterisiert, dennoch wirken sie auf mich zum großen Teil unzufrieden mit ihrem Leben. Vor allem Ester erscheint mir als diejenige, die mit ihrem Leben und ihrem Schicksal am stärksten hadert und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass es ihrer Tochter mal besser geht und diese vielleicht nicht uneigennützig, ihrer Familie zu einem besseren Leben verhilft. Ein trauriger Konflikt, der so manchen Leser sicherlich bekannt vorkommen wird. Felicita wirkt dahingegen auf mich fast schon etwas trotzig und hoffnungsvoll. Sie träumt auch von einem besseren Leben, sie schafft es aber besser, sich mit ihrem Leben zu arrangieren und mit den kleinen Dingen zufrieden zu sein.

Wer die Botschaft der Autorin für dieses Buch verstehen will, muss zwischen den Zeilen lesen. Hier geht es nicht um die Darstellung einer Familiengeschichte vor dem Hintergrund politischer und sozialer Veränderungen in Italien/Sardinien im 19. Jahrhundert. Es erscheint mir eher wie eine Parabel. Es geht um Wünsche, Träume, Hoffnungen und unerfülltes Glück. Das Streben nach Glück, nach einem besseren Leben zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und spiegelt sich in jeder Generation unerbittlich wider. Und das macht es fast schon zu einem Buch mit poetischem, philosophischem Inhalt. Jeder, der diese Art von Lektüre mag, ist hier sehr gut aufgehoben. Wer eine lockere, leichte Lektüre bevorzugt, eher weniger.

„Eine fast perfekte Welt“ ist für mich kein leicht zugänglicher Roman. Ich hatte anfangs starke Schwierigkeiten. Der Anfang wirkte auf mich zäh, nicht so richtig fesselnd und das hat sich über große Strecken leider fortgesetzt. Das Ende wirkte auf mich auch etwas willkürlich, und nicht wirklich als ein Abschluss, der offene Fragen klärt. Aber vielleicht war das auch die Intention der Autorin. Eben den Leser mit offenen Fragen zu entlassen und ihm zum Nachdenken über seine Haltung zum Glück zurückzulassen. Deshalb bin ich auch hin und hergerissen. Die Autorin verzichtet überwiegend auf wörtliche Rede, was es meiner Meinung nach schwierig macht, sich mit den Charakteren und deren Gefühlen zu identifizieren und in die Geschichte so richtig einzutauchen. Dennoch ist der Roman flüssig geschrieben und stellenweise sogar humorvoll. Manche Zeitsprünge erschienen mir auch etwas unglaubwürdig, denn es tauchen zum Beispiel technische Neuerungen wie das Smartphone auf, die es rein rechnerisch zum Zeitpunkt, in der sich die Geschichte der Hauptpersonen abspielt, noch gar nicht geben konnte, vor allem wenn man das Alter der jeweiligen Person heranzieht. Ich kann darüber aber hinwegsehen, weil es für die Handlung nicht ins Gewicht fällt.

Mein Fazit: Ein durchaus lesenswertes, nachdenklich stimmendes Buch über die (unerfüllte) Suche nach dem, was Glück für jeden einzelnen bedeutet. Ein Buch, das mich leider mit offenen Fragen zurückgelassen hat.