Rezension

Den Kindern eine Stimme gegeben

Das Jahr, in dem wir verschwanden -

Das Jahr, in dem wir verschwanden
von Tayari Jones

Um diesen Roman zu schreiben, hat Tayari Jones in die Seelen der Kinder geschaut.

In den Jahren 1979 bis 1981 erschütterte eine bis heute nicht zweifelsfrei aufgeklärte Mordserie an Kindern und Jugendlichen, hauptsächlich Jungen afroamerikanischer Herkunft, die Stadt Atlanta. Die Autorin Tayari Jones, die als Kind das Verschwinden miterlebte, nahm die Ereignisse zum realen Anlass für ihr fiktives Buch.

 

Sie gliedert den Roman in drei Teile, die jeweils einem Kind aus derselben fünften Klasse gewidmet sind. 

Dabei wird, wobei die Erzählperspektiven von der dritten über die zweite Person bis zur Ich-Erzählerin wechselt, fast ausschließlich die Sicht der jungen Protagonisten dargestellt. Ihr Alltag, ihre Sorgen, ihre sehr unterschiedlichen Situationen, besonders aber ihre ureigene Gedankenwelt kommen so authentisch zur Geltung, dass man sich zurückversetzt fühlt in die eigene Kindheit. Ohne Zögern begibt man sich in ihre Rollen und versteht sie bedingungslos, selbst die abstrusen, abergläubischen Ideen, die sie angesichts des Verschwindens ihrer Klassenkameraden entwickeln.

Zunächst lauert die Gefahr noch im Hintergrund, wichtige Themen sind vielmehr die eigene Rolle in Bezug auf die Freundinnen, die Eltern, die sich trennen wollen, der Konflikt mit dem Jungen, der trotz seiner schlechten Manieren irgendwie interessant ist. Wer nun meint, das klinge langweilig, dem sei versichert, dass es das ganz und gar nicht ist. Die Geschichte saugt ihr Publikum auf und hält es mit der radikal konsequenten Erzählweise in Bann, und zwar bis zur letzten Zeile.

Ein weiteres Grundthema des Romans ist Rassismus. Hass, Misstrauen und Abwehr sind tief verwurzelt. Niemand kann sich vorstellen, dass ein anderer als ein Weißer die Taten begehen konnte. Denn die Jungen werden Männer, und weiße Männer haben Angst vor schwarzen Männern.

Obgleich die Zeitebene des Romans vierzig Jahre zurück liegt, wirkt die Problematik in beklemmender Weise aktuell. Was geschah, lässt sich denken auch im heutigen Amerika. Und in anderen Konstellationen in allen Teilen der heutigen Welt.