Rezension

Den Schluss verpeilt

Die besten zehn Sekunden meines Lebens - Roger Schmelzer

Die besten zehn Sekunden meines Lebens
von Roger Schmelzer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Im Alter von sechzehn Jahren bekommt der dicke Chris die Chance seines Lebens: der sportlich coole Mark lädt ihn zum joggen ein und was tut Chris? Er lehnt die Gelegenheit ab schlank, beliebt und bei den Mädels erfolgreich zu werden. So sieht es sein Schülerhirn, sogar im Erwachsenenalter trauert er der Situation noch nach. Chris Mackenbrock bleibt immer der Ansicht in diesen wenigen Sekunden hätte sein Leben eine aufregende Wandlung erfahren können. Das Hätte, Wäre, Wenn Denken- ist das Schlüsselthema des Romans. Chris wäre schlank geworden. Er hätte Kathleen bekommen. Ja wenn....In der Realität landet Chris in der Pantomimengruppe der katholischen Landjugend, nackt unter dem Bett seiner Liebsten, als er auf Klassenfahrt Strip Poker spielt, schliesslich gerät er sogar auf die Pfingsdemonstration in Wackersdorf und verliert sich in den Niederungen der deutschen TV Unterhaltung. Eines Tages schlägt das Schicksal zu, die Zeit wird zurückgedreht. Er bekommt noch einmal die Gelegenheit auf Mark zu treffen, die Einladung zum Joggen anzunehmen, schlank zu werden, seiner Traumfrau schön und cool gegenüberzutreten. Chris ist noch einmal sechzehn. Und siehe da: das neue Leben ist nicht unbedingt besser als das Alte.

Meinung:

Die erste Hälfte des Romans habe ich richtig genossen. Chris Mackenbrocks Jugend in Westfalen, die achtziger Jahre werden wach, sie verknüpfen sich mit persönlichen Erinnerungen der Leser. Roger Schmelzer schreibt detailgenau, hellwach und präzise. Schöne Szenen in Wackersdorf, die Klassenfahrt, die Pantomimengruppe, ohne albern zu werden lässt der Autor den Dingen ihren Lauf. Bis hierhin hätte ich vier Sterne gegeben. Leider hakt es etwas im zweiten Teil des Buches. Die Zeit in Köln wird überhastet eingeleitet, die Fernseh und Unterhaltungsindustrie wird nicht halb so gut geschildert wie der Jugendteil, oberflächlich und langweilig, weil alles schon gelesen. Ausserdem beginnt Roger Schmelzer dann doch albern zu werden. Der Fernsehpreis ist Brachialhumor, bei dem ich nur die Schultern gezuckt habe. Hier kippelt der Roman, soll es noch ein bisschen komischer sein oder doch etwas künstlerischer? Der Zeitsprung im Anschluss verschafft keine Wendung zum Guten. Die zehn besten Sekunden im Leben von Chris Mackenbrock, das neuerliche Treffen mit Mark werden rasch abgehandelt, dann versinkt der Protagonist auf den Spuren seiner Kindheit endgültig in Negativität und wir dazu noch link, wodurch mir jede Symphatie für den Protagonisten abhanden kommt. Ständig rennt er den Ereignissen hinterher, statt sie zu gestalten und wenn er sie zu gestalten beginnt, wie im Schlussteil, kommt nur Humbug dabei heraus.  Was will uns die Geschichte sagen? Sicherlich, dass man vergebenen Chance nicht lange nachtrauern sollte. Das immerhin ist dem Autor gelungen!