Der Angeber und der Verschüchterte
Bewertet mit 4 Sternen
Der Autor erzählt zwei Geschichten mit zwei Protagonisten, Pietro und Graziano, die sich auf verschiedene Weise bedingen, kreuzen und überlappen, obwohl sich die beiden Figuren nur ein einziges Mal persönlich begegnen.
Pietro erfährt, dass er zum Schuljahresende nicht versetzt wird, obwohl er Klassenbester ist. Er war von Mitschülern, die ihn hänselten und mit Gewalt bedrohten, zu einem üblen Streich nachts in der vermeintlichen leeren Schule gezwungen worden. Trotz ihrer Warnungen hatte er sich seiner Lehrerin Flora anvertraut.
Eben dieser Flora, noch jungfräulich und als Betreuerin ihrer bettlägerigen Mutter ans Haus gebunden, steigt der Frauenheld Graziano nach. Obwohl sie weiß, dass sie nur eine von vielen ist, gibt sie ihm, zunächst nicht ganz freiwillig, nach, denn endlich kann sie erfahren, wie Sex geht.
Der Leser schwingt sich voller Mitleid auf Pietro ein, den schwächlichen Jungen, dem niemand zur Seite steht außer seiner Schulfreundin Gloria und seinem etwas beschränkten Bruder Mimmo. Pietro ist in dem Roman der Garant für eine fesselnde Handlung, die im letzten Drittel in eine Spannung von der Art eines Krimis übergeht.
Grazianos Geschichte interessiert daneben nur soweit wie man Schadenfreude empfindet, dass eine – nicht sehr sympathische – Frau dem Angeber, Hochstapler und Faulenzer die Grenzen zeigt und ihn verlässt.
Durch die Person von Flora greifen ihre Schicksale ineinander.
Ammantini erzählt lebendig und empathisch. Man spürt die Gluthitze des Sommers und sieht das ärmliche, herunter gekommene Dorf vor sich und die Bewohner, vom trinkenden Vater und dem lethargischen Bruder über die Polizisten, die Dienst nach Vorschrift schieben, bis zur despotischen Schuldirektorin.
Alle, auch die Nebenpersonen, die zum Teil nur für Atmosphäre und Ambiente zuständig sind, sind klar umrissen und sorgfältig gezeichnet.
Ein leicht lesbarer, aber nicht leicht verdaulicher Roman.