Rezension

Der Geist der toten Braut

Mr. Duckworth wird verfolgt
von Tim Parks

Bewertet mit 4 Sternen

ACHTUNG: Enthält Spoiler zu Band 1 "Der ehrgeizige Mr Duckworth"

Das Buch erschien 1996 bereits unter dem Titel "Mimis Vermächtnis"

Morris Duckworth ist von seiner eigenen Genialität und moralischen Untadeligkeit felsenfest überzeugt. Wenn er also ein Durchschnittsleben auf unterstem ökonomischem Niveau führen muss, sind andere schuld.
Um reich zu werden und in die gute Gesellschaft Veronas aufzusteigen, schreckt er vor nichts zurück. Erpressung und Entführung, Mord und Totschlag sind manchmal einfach unvermeidlich.
Morris Duckworth wollte Massimina Trevisan nicht umbringen. Es war nur eine dieser Unvermeidlichkeiten. So ist es für ihn eine große Erleichterung, als er merkt, dass der Geist des Mädchens überaus lebendig ist, immer noch verliebt in ihn und bereit, ihm zu helfen, seinen rechtmäßigen Platz an der Seite ihrer Schwester einzunehmen. Endlich ist er in der Familie Trevisan und damit in der guten Gesellschaft Veronas angekommen. Nach allem, was sie durchgemacht haben, ist keiner zimperlich, wenn es darum geht, Hindernisse zu beseitigen, die ihnen im Weg stehen.
 (Kunstmann-Verlagsseite)

Schlitzohr Morris Duckworth gibt sich zum zweiten Mal die Ehre. War im ersten Band Tom Ripley noch deutlich spürbar, hat er (oder Tim Parks?) sich inzwischen emanzipiert und folgt seinem eignen Kopf und seinen eigenen Verbrechen.
Er hat – wie immer – endlich das erreicht, was er eigentlich wollte und dennoch nicht SO wollte: Die Einheirat in die reiche Familie Trevisan. Doch von seiner Ehefrau Paola, Massiminas unersättlicher, frivoler und lüsterner älterer Schwester fühlt er sich zunehmend belästigt, bedrängt und ausgenutzt. Dass Morris Massimina als seine große Liebe betrachtet, wundert nicht mehr. Man kann sich zwar als Leser des 1. Bandes an ein solch großes Gefühl nicht erinnern, aber Morris gehört zu denen, die ersehnen, was unerreichbar ist und was ihn in Nostalgie eintauchen lässt. Gut, dass die tote Geliebte zumindest per Autotelefon ansprechbar ist und ihn später sogar mit Gewisper aus der jenseitigen Welt aus brenzligen Situationen rettet und ihm sein weiteres Vorgehen einflüstert.

Vor dem Betrug steht der Selbstbetrug, und darin bringt Morris es zur Meisterschaft: Jedes Verbrechen, das er begeht, ist nichts als eine schicksalhafte Folge irgendwelcher Machenschaften eines böswilligen Mitmenschen, der italienischen Gesellschaft oder vertrackter Umstände. Denn eigentlich fühlt er sich als Gutmensch, als Tugendbold sogar oder Wächter der Moral. Vor allem, weil er die katholische Religion entdeckt, die vorzüglich in seine Pläne und sein Leben passt.
Parks erzählt mit der Ironie und Leichtigkeit, die man schon aus dem 1. Band kennt. Er lässt eine Zeit auferstehen, die man, obwohl noch nicht lange vergangen, heute schon „die gute alte“ nennen kann. Ohne Handy (mit dem Morris es sicher leichter hätte), ohne DNS-Abgleich und digital verfolgbare Spuren (beides hätte ihn sehr schnell lebenslänglich in die Zelle befördert).
Auch wenn es so aussieht, als ginge es Morris diesmal an den Kragen, weil er auf einen klügeren Gegner trifft als die italienische Mordkommission, spürt man als Leser: Diesem Teufelskerl kann nichts passieren. Und liest daher mit fröhlicher Gespanntheit.

Berstende Spannung kann man dem Buch nicht nachsagen, auch findet man keine spektakulären Verbrechen oder fesselnde Ermittlungen. Seinen ersten Mord begeht Morris erst nach Seite 160.
Sicher war es nicht Ziel des Autors, einen typisch atemberaubenden Krimi zu schreiben, auch wenn Serienmörder Morris’ Weg von Leichen gepflastert ist, die er fast alle auf dem Gewissen hat.
Irgendwo hinter Morris sitzt Parks, der Engländer in Verona, auch er zunächst fremd, erfolglos (bei der Veröffentlichung seiner Romane) und trotzdem Italien näher als England, heute etabliert und gut situiert in seiner Wahlheimat. – Nicht umsonst nimmt Parks sowohl die einen als auch die anderen aufs Korn. –

Morris Duckworth als Parks’ Alter Ego? Sollte man am Ende erleichtert sein, dass Parks irgendwann ein erfolgreicher Schriftsteller, Übersetzer und Dozent wurde?

Es existiert eine dritte Schwester Trevisan, Antonella, also muss es einen 3. Band geben. Er erscheint unter dem Titel „Mr Duckworth sammelt den Tod“ im September.