Rezension

Der Mustermisanthrop

Aufzeichnungen aus dem Untergrund -

Aufzeichnungen aus dem Untergrund
von Fjodor M. Dostojewski

Bewertet mit 4 Sternen

Das Reclamheft "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" wurde von mir schon ein paar Jahre geflissentlich ignoriert, doch das wunderschöne Büchlein aus dem Manesse-Verlag mit Lesebändchen, neu übersetzt und kommentiert von Ursula Keller hat mir dann dieses Jahr schon den zweiten Klassiker (neben Faust von Goethe) erfolgreich "untergejubelt".
Was nutzt es dem Pferdefüßigen, wenn er ein neues Gewand trägt, wir erkennen ihn trotzdem am Hinken! Schockiert von den philosophischen Ergüssen und Widersprüchen eines lupenreinen Miesepeters in St. Petersburg, der seinen Beamtendienst quittiert hat und nun mit schlechter Laune in seiner Bude hockt, quälte ich mich durch den ersten Teil seiner Aufzeichnungen. Darin beklagt er sich über die Dummheit der Menschen, die es nicht verstehen, dass ihr Streben nach einem erfüllten Leben unnütz sei. Er selbst aber sei schlau genug, dieses zu durchschauen. Er ergießt sich in Hass und Selbstmitleid. Nur er selbts verstünde die Schwermut eines Romantikers mit der russischen Seele zu verknüpfen und damit die wahre Sinnlosigkeit des modernen Lebens zu entblößen.
Erst im zweiten Teil lesen wir von seinen Erinnerungen an vergangene Begebenheiten, bei denen er alte Schulkameraden traf und sich vermeintlichen Herabwürdigungen zwanghaft zu rächen versucht. Fast möchte man sich fremdschämen dafür, wie entschlossen und sich doch gleich wieder herausredend er diese Situationen beschreibt und zugleich dem Leser unterstellt, dass er doch nur alles missversteht. Der Höhepunkt war dann auch die Szene, in der einem Freudenmädchen erst die Leviten liest, ihr dann seine Hilfe verspricht und als diese sie einfordert, beleidigt und schmählich im Stich lässt.
Ich fragte mich, was mir Dostojewski da angetan, warum er mir dieses Ekel, bar jeden guten Haares untergeschoben hatte. Weder konnte ich eine etwaige dunkle Seite des Autors, noch einen Lichtblick auf Besserung des Ich-Erzählers erkennen.
Zwar schrieb Dostojewski diese Novelle unter dem Eindruck von Krankheit und Schulden, doch sollte es wohl eher die Steilvorlage für diverse Figuren in seinen späteren Romanen werden. Unter dieser Prämisse und mit einem sehr aufschlussreichen Nachwort der Übersetzerin, fühle ich mich gestärkt und gerüstet für die "Dicken", für die großen Romane des russischen Schriftstellers.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 27. Oktober 2021 um 16:49

Also Dostojewski   - ist so was von überholt.

Emswashed kommentierte am 27. Oktober 2021 um 18:40

Recht hast Du, liebe Wanda! Aber manchmal muss es doch wieder das gute alte Wählscheibentelefon sein, hihi.