Rezension

Der Reigen nach der Bombe

Der Tag, als wir die Erde drehten
von Valérie Tong Cuong

Bewertet mit 2.5 Sternen

Marylou, Sekretärin und alleinerziehende Mutter, ist mit einem Stapel Kopien zu einem wichtigen Meeting unterwegs, als plötzlich die Metro still steht. Die junge Frau ist verzweifelt, doch dieser Unglücksfall bewahrt sie vor dem Tod: Auf das Gebäude ihrer Firma wird ein Anschlag verübt - und Marylou ist dank ihrer Verspätung die einzige Überlebende.
In der Notaufnahme trifft sie auf den Filmproduzenten Tom, der auf dem Weg zu seiner kapriziösen Geliebten schlimm gestürzt ist, weil ihm ein Hund ins Fahrrad lief. Der Hund gehört Clara, einer Juristin, doch diese kämpft mit einer plötzlichen Allergie auf ein Veilchen-Macaron - das ihr in der Patisserie freundlicherweise ein älterer Herr überließ.
Der ältere Herr ist der schwerkranke Albert, der an diesem Tag wegen des Personenschadens in der Metro das Taxi nimmt, um bei seinem Notar die letzten Dinge zu regeln. Er kommt ein paar Minuten zu früh und wird so Zeuge eines Gesprächs, das sein ganzes Leben umkrempelt.
Und die schüchterne Prudence, eine Rechtsanwältin, die an diesem Tag ihre wegen einer Allergie in der Notaufnahme sitzende Chefin vertreten darf, entdeckt hochexplosive Unterlagen - eben jene, die Marylou für das Meeting kopieren sollte.
 (Verlagsseite)

Dass einer der Preise, den die Autorin erhielt, „Prix de l’Optimisme“ heißt, wundert nach der Lektüre sicher nicht. Es treten fünf (und in ihrem Gefolge weitere) Personen auf, deren Schicksal sich durch einen Bombenanschlag auf ein Firmengebäude und einen versuchten Selbstmord auf den Gleisen der Metro miteinander verbindet. Zu Anfang geht es allen schlecht, am Ende geht es allen gut. Für das Dazwischen hat die Autorin einen Reigen erschaffen. 

Tödliche Krankheit, Einsamkeit, drohende Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung, Geldmangel, Liebeskummer, Depression – es gibt fast nicht Schlimmes, woran nicht eine der Personen leidet. 
Dann fliegt ein Firmengebäude durch einen Bombenanschlag in die Luft, und alle finden ihr Glück, die Liebe, neue Arbeit, Gesundheit, Selbstbewusstsein. Bis auf diejenigen, die es getroffen hat, aber die spielen keine Rolle.
Wenn ein Autor Hunderte von Personen in den Tod schickt, um eine Handvoll glücklich zu machen, sollte anders damit umgegangen werden, aber außer ein paar Floskeln zur Bestürzung liest man nichts.
Betroffenheitsprosa wäre sicher fehl am Platz in einem solchen Roman, doch die Interesselosigkeit am gewaltsamen Tod anderer umgibt die Geschichten mit einer gewissen Oberflächlichkeit.
-- Nach „Charlie Hebdo“ hätte die Autorin sich vermutlich ein anderes Szenario einfallen lassen müssen. Oder anders darüber schreiben. --

Alle Figuren treten als Ich-Erzähler ihrer Episoden auf. Die Unterscheidung, für den Leser nicht einfach, ist nur aus der Lebenssituation (alleinerziehende Mutter, reicher Architekt, Rechtsanwältin mit schwarzer Hautfarbe, …) möglich. 

Was gefällt: Der humorige Ton, der das Leiden abmildert und die Personen durchweg sympathisch erscheinen lässt. Auch die Verbindungen zwischen ihnen, die Zufälligkeiten und das Ineinanderfügen ihrer Geschicke hat die Autorin einfallsreich verknüpft. 

Ein bisschen mehr Tiefgründigkeit, ein wenig mehr Substanz bei den Typen und keine ach so glatten Lösungen – es wäre ein wunderbarer Roman geworden.