Rezension

Der Tag, an dem ich das Buch (leider) nicht mag

Der Tag, an dem der Wind dich trägt - James Patterson

Der Tag, an dem der Wind dich trägt
von James Patterson

Bewertet mit 2.5 Sternen

Eines muss ich diesem Buch lassen: die Geschichte ist ohne Frage originell und von der Grundidee her spannend. Eine geheime Organisation beschäftigt die brilliantesten Wissenschaftler für verbotene Experimente am Menschen, insbesondere an Embryos. Auf einem Gelände, das abgeschottet ist wie ein Hochsicherheitsgefängnis, verbergen sich hochmoderne Labors auf dem neusten Stand der Technik - und Kinderzimmer für die enstandenen Hybriden aus Mensch und Tier.

Max ist eines dieser Hybridwesen - entgegen dem, was der Klappentext sagt, sieht sie ganz und gar nicht aus wie ein normales Mädchen, denn sie hat wunderschöne Flügel mit einer beeindruckenden Spannweite. Sie sieht aus wie ein Engel, denkt wie ein kleines Genie und hat Instinkte wie ein Raubvogel. Und sie hat "Geschwister", die nicht minder außergewöhnlich sind. Das war für mich das Reizvolle: hier gibt es fantastische Wesen, die nichts mit Fantasy zu tun haben, sondern durch pure Wissenschaft erschaffen wurden - und dennoch liest sich das Buch manchmal wie hochmoderne Urban Fantasy.

Der Autor schmeisst den Leser direkt mitten in die actiongeladene Geschichte: das Buch beginnt mit Max' wilder Flucht aus der "Schule", dem beschönigenden Ausdruck für den Komplex, in dem die Kinder gefangengehalten werden. Und es bleibt spannend und temporeich bis zum Schluss: nicht nur Max ist in Gefahr, sondern jeder, der sie sieht - denn die Jäger, die sie jagen, beseitigen skrupellos alle Augenzeugen und machen auch vor Kindern wie Max nicht Halt. Mit jedem Kapitel wird immer klarer, dass hinter dem Ganzen ein riesiges Netz einflussreicher, mächtiger Verschwörer steckt... Haben ein kleines Vogelmädchen, eine Tierärztin und ein in Ungnade gefallener FBI-Agent da auch nur die geringste Chance?

Die Protagonisten habe ich schnell ins Herz geschlossen: Die mutige kleine Max, die sich trotz ihrer Kindheit eine entwaffnende Unschuld und Herzensgüte bewahrt hat. Den entschlossenen Kit, der seine eigene Karriere mit Füßen tritt, um Unschuldige zu retten. Und nicht zuletzt die tier- und kinderliebende Frannie, die ihr Leben ohne Zögern immer wieder in Gefahr bringt, um Max und die anderen Kinder zu befreien.

Mir gefiel allerdings oft nicht, wie die kindlichen Charaktere porträtiert werden. Eigentlich werden sie als kleine Genies beschrieben, und manchmal wirken sie auch so, und dann spricht die elfjährige Max auf einmal wie eine Fünfjährige.Vieles widerspricht sich auch: in einem Satz wird noch gesagt, dass die Kinder jauchzen und jubeln und dass alles für sie ein großes Abenteuer ist, und im nächsten Absatz wird behauptet, sie seien völlig überfordert und traumatisiert (was eigentlich auch viel glaubhafter ist). Die Charakterisierung ist für mich nicht konsequent und schlüssig.

Die Liebesgeschichte, die sich zwischen Frannie und Kit entwickelt, war für mich etwas lauwarm. Ganz nett, aber auch nicht mehr, und die Erotikszene fand ich leider völlig fehl am Platz - die beiden sind da gerade in akuter Lebensgefahr! Außerdem ist sie extrem kurz und wirkt sehr hölzern und einfallslos.

Apropos Erotikszene: ich war immer wieder sehr verwirrt, an wen sich das Buch eigentlich richtet. Die Erotikszene und die zum Teil detailliert beschriebene Gewalt sagen ganz klar: das Buch ist für Erwachsene gedacht. Aber der Schreibstil passt dazu leider überhaupt nicht! Er ist oft extrem einfach, mit sehr kurzen Sätzen. Manchmal mutet er sogar seltsam naiv und süßlich an - als würde man ein altmodisches Kinderbuch lesen.

Manchmal wirkt die Übersetzung auch einfach störend, wenn die Charaktere ganz offensichtlich Redewendungen benutzen und Witze erzählen, die nur im Englischen funktionieren.

Mir hat der Schreibstil überhaupt nicht gefallen, und daher kommt auch die schlechte Gesamtwertung, obwohl ich Originalität und Spannung als sehr gut bewerten würde.

Was mich auch ein paar Mal etwas befremdet hat, war die aufgesetzte, kitschige Religiosität. Wäre das stärker thematisiert worden - persönlicher Glaube als Stütze und Trost in Extremsituationen -, wäre das für mich gar kein Problem gewesen, aber so wirkte es für mich nicht authentisch und glaubhaft.

Zuguterletzt fand ich inhaltlich manches nicht so ganz glaubwürdig. Zum Beispiel sind die "Bösen" anscheinend nicht gerade zimperlich darin, ihre eigenen Wissenschaftler zu bestrafen. Jemand hat zwei Kinder entkommen lassen? Er wird dafür hingerichtet. Jemand hat seinem Freund erzählt, wo er arbeitet? Er und sein Freund müssen auch dran glauben. Soviele Wissenschaftler, wie in diesem Buch getötet werden, da dürften sie bald keine mehr übrig haben... Oder Frannie: sie hasst Jäger, weil sie Tiere so sehr liebt und es falsch findet, sie zu töten - aber selber geht sie angeln.