Rezension

Die alten Schatten

Wer das Schweigen bricht - Mechtild Borrmann

Wer das Schweigen bricht
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

„Immer war er auf der Suche nach einem Fleck auf der blütenweißen Weste des Vaters gewesen, hatte sich zu dessen Lebzeiten gewünscht, seiner großspurigen Selbstherrlichkeit etwas entgegenhalten zu können. Und jetzt, das spürte er genau, würde er es finden, und es wäre nicht nur ein Fleck.“

Essen-Bredeney im Jahre 1998. Der Industriemagnat Friedhelm Lubisch ist verstorben. Im Nachlass des Vaters findet sein Sohn Robert den SS-Ausweis eines Unbekannten und ein altes Foto einer schönen, jungen und ihm ebenfalls unbekannten Frau. In den letzten Jahren war das Verhältnis zu seinem Vater arg getrübt, zu wenig konnte der Sohn den Ansprüchen des Vaters genügen. Nun erwacht in Robert die Neugierde: Gibt es in der Vergangenheit des so perfekten Vaters womöglich einen kleinen Fleck? Vielleicht eine heimliche Geliebte? Robert beginnt nachzuforschen – und wünscht sich schon bald, dass er es nicht getan hätte. Und dann wird auch noch die Journalistin ermordet, die ihm bei den Recherchen geholfen hat. Was hatte sie entdeckt?

Wahnsinn! Was für ein tolles Buch. Einmal begonnen, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Die Frage nach der Wahrheit… Man sagt so leicht, dass man die Wahrheit wissen will… Aber wenn man sie erfährt, kann man dann auch damit umgehen? Es gibt Wahrheiten, mit denen man nicht gerechnet hat, auf die man nicht vorbereitet war…

Die Jahre zwischen 1939 und 1945 in Deutschland. Jeder weiß, was diese Jahre für die Menschen hier bedeuteten. Wer es nicht erlebt hat, hat es oftmals gehört, gelesen oder in Dokumentationen gesehen. Und viele haben eine Meinung dazu, denken, dass sie wüssten, was sie selbst unter diesen Lebensumständen getan hätten. Und was sie nicht getan hätten. Stichworte hier: Nazis, SS, Juden, russische Kriegsgefangene, deutscher Widerstand. In Rückblenden begleiten wir sieben junge befreundete Menschen und ihre Familien durch diese Zeit und stoßen dabei auf so einiges, was uns heute unfassbar erscheinen mag. So verschieden die Protagonisten auch sind, sie versuchten alle, in dieser Zeit zu überleben.

„Es gab im Winter 1944/45 keine Zeit für Trauer, und manchmal denke ich, dass das eine der Tragödien dieses Krieges war, vielleicht jedes Krieges ist. Wenn wir keine Zeit zum Trauern haben, verlieren wir eine Dimension unseres Menschseins.“

Einige wählten dabei einfachere Wege, andere machten es sich schwerer. Sie riskierten viel und verloren auch manches Mal. Und manche taten Dinge, die sie das ganze Leben lang verfolgen sollten.

„Im Laufe der Jahre habe ich gemeint, ich hätte mich von all dem weit entfernt. … Als ich im Dezember 1950 fortging, wollte ich nur eines: Vergessen! Ein neues Leben beginnen. Aber man vergisst nicht. Man trennt die Jahre ab und was bleibt, ist eine Art unerklärliche Trauer, die einen ab und an anfällt.“

Spannend bis zum Schluss – eine absolute Leseempfehlung von mir!