Die Christen haben die jüdischen Psalmen erst richtig verstanden?
Bewertet mit 2.5 Sternen
Robert Spaemanns Buch ist ein sehr schön und sorgfältig gestalteter Band: geprägtes rotes Leinen; die Texte der 51 Psalmen, die der Autor interpretiert, in roter Schrift, darauf folgen jeweils die Interpretationen, mit Verweisen auf die Psalmverse in Marginalien, diese ebenfalls in roter Schrift.
Robert Spaemann ist ein angesehener Philosoph unserer Zeit, der sich auch, etwa in seinem Buch "Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter", auf Gegenwartsprobleme bezieht. Seine "Meditationen" (Psalminterpretationen) versteht er als "Gedanken eines Laien, eines offenbarungsgläubigen Christen und vernunftgläubigen Philosophen", und sie wollen "keinerlei Kompetenz beanspruchen und niemanden überzeugen" (S. 8, Vorrede). Diese Relativierung ist sympathisch, doch klingen die Interpretationen selbst für mich eher nach: "So ist es und nicht anders".
Die Texte zeigen Spaemanns immenses Wissen u.a. in Philosophie, christlicher Bibelexegese. Sie sind sehr gut geschrieben, bringen viel Nachdenkenswertes - und zwar im Rahmen einer christlichen, speziell christlich-katholischen Sicht ("die Kirche", von der viel die Rede ist, ist die katholische Kirche). Bewegt man sich nicht innerhalb dieses in sich geschlossenen Systems, verlieren viele Gedanken ihre Gültigkeit.
Ich habe, wenn auch nicht mit judaistischem oder theologischem Hintergrund, einiges an jüdischen Auslegungen der hebräischen Bibel und ihrer Bücher gelesen, und ich schätze die geistige Freiheit jüdischen Umgangs mit den eigenen Schriften. Unterschiedliche Auslegungen haben hier nebeneinander Bestand und können als "wahr" gelten. Demgegenüber sind christliche Auslegungen, die alles auf Jesus als den Christus (Messias) hin verstehen, doch eher eng. Zudem gehe ich davon aus, dass Juden die Bücher ihres biblischen Kanons - auch in ihren Hintergründen und gegenseitigen Verweisen - am besten verstehen; für Spaemann kommen die Psalmen erst im Christentum zu ihrem wirklichen Sinn, erst in den Bezügen zu Jesus und neutestamentlichen Texten. Wer Spaemanns Voraussetzungen teilt, wird dieses Buch mit Gewinn lesen.