Rezension

Die gestohlene Puppe und das verschwundene Mädchen

Der Schöpfer - Gudrún Eva Mínervudóttir

Der Schöpfer
von Gudrún Eva Mínervudóttir

Bewertet mit 4 Sternen

Sveinn hat sich der Kunst verschrieben, lebensgroße Sexpuppen aus Silikon herzustellen, und darüber fast sein Leben vergessen. Da bleibt eines Tages Lóa mit einer Reifenpanne direkt vor seiner Haustür liegen. Er bietet ihr seine Hilfe an und bittet sie herein. Lóa ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter und hat eigentlich nur einen Gedanken: möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen. Vorher höchstens noch ein Gläschen Wein. Völlig erschöpft schläft sie wenig später auf Sveinns Sofa ein. Als sie am nächsten Morgen aufwacht, stößt sie zufällig auf Sveinns Werkstatt und die Puppen. Seltsam fasziniert, packt sie eine davon in ihr Auto und setzt damit eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang. (von der btb-Verlagsseite kopiert)

Schräg! Kein anderes Wort taugt besser, um dieses Buch zu charakterisieren. Sämtliche Personen sind schrullig, kauzig, spleenig oder verschroben. Sogar die Kinder passen in kein Schema.

Lóas ältere Tochter Margrét leidet an Magersucht, vermutlich auch an Depressionen oder einer anderen psychischen Krankheit. Was Lóa mit der Puppe will: Margrét zeigen, wie schön der Körper einer Frau sein kann. So richtig überlegt hat sie die Sache nicht, denn sie steht immer noch unter der Wirkung von zwei Flaschen Rotwein, den sie mit dem Fremden, vor dessen Haustür sie zufällig mit dem Auto liegen blieb, geleert hat.
Es stellt sich heraus: Nicht nur an diesem Abend ist der Alkohol ihr treuer Begleiter.

Sveinn braucht seine Puppe, denn sie ist schon verkauft, und, wie alle seine Plastikfrauen, nicht gerade billig. Nach einem Unfall (beim Wechseln einer Glühbirne!) und einer Stippvisite im Krankenhaus, das er mit einem eingegipsten Arm und hinkend verlässt, bekommt er Lóas Adresse heraus und macht sich auf den Weg, nicht ahnend, dass ausgerechnet an diesem Tag Margrét verschwindet. Was ihn zusätzlich beschäftigt: Er erhält anonyme Anrufe und Droh-Mails wegen seines wollüstigen Handwerks, und er verdächtigt Lóa.

Nun wird’s richtig chaotisch: Neben den bekannten Figuren betreten weitere die Bühne, Lóas zweite Tochter ist wegen ihrer Schwester sowieso schon mit den Nerven fertig. Lóas beste Freundin und ihre Mutter nehmen sich der Situation an – ohne Ergebnis. Lóa fühlt sich des Diebstahls schuldig. Als schlechte Mutter fühlt sie sich sowieso … und Margrét taucht auch nach einem Tag und einer Nacht nicht auf.

Anfangs machte mir das Buch einen Heidenspaß. Die Autorin schreibt frei von der Leber weg mit Bildern, die, der Alltagssprache entlehnt, in einem neuen Kontext verwendet werden. Auch der Aberwitz des Reifenwechsels, des Diebstahls und des Unfalls lesen sich kurzweilig und vergnüglich.

Doch dann wird es (mir) zu unruhig, zu zappelig. Ohne eine ruhige Ecke taumeln die Personen von einem unbehaglichen Gedanken, einem stressigen Gespräch und einer ungestümen Handlung zur nächsten. Auch hat die Autorin die Angewohnheit, einzelne Szenen doppelt zu erzählen: Aus Sveinns und Lóas Augen.

Sveinns Kehrtwende am Ende ging mir zu schnell. Nichts deutete darauf hin, dass er mit solchen Entscheidungen ringt. Der Schluss der Geschichte um Lóa gefällt besser.
Dennoch: Dank der originellen ersten Hälfte, die mich mehr amüsiert hat als ein anderes Buch in diesem Jahr, kann ich es empfehlen. Es gibt sicher Leser, die sich vom Tempo des zweiten Teils mitreißen lassen können.