Rezension

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Die gute alte Dystopie

Hund 51 -

Hund 51
von Laurent Gaudé

"Hund 51" erfindet das Genre Dystopie nicht neu, sondern bedient sich der klassischen Mittel. Und schafft damit eine gute alte, klassische Dystopie, die die Leserschaft voll Unbehagen zurücklässt.

Laurent Gaudés Vision unserer zukünftigen Welt ist eine düstere - und dabei erfährt man nicht einmal viel davon. Wie steht es um das Klima? Wie um den Welthunger? Was ist mit Krankheiten? Nur Bemerkungen lassen erahnen, dass es wohl insgesamt nicht zum Besten damit steht. Stattdessen wirft uns Gáude mitten hinein in eine Megametrople namens Magnapolis, scheinbar das Ergebnis eines langwierigen und auch sehr brutalen Aufkauf- und Aneignungsprozesses des ehemaligen Griechenlands, das es so, wie wir es kennen, nun nicht mehr gibt. Verschuldet bis über beide Ohren wurde es an den Meistbietenden verschachert und schließlich privatisiert von einem scheinbar allmächtigen Unternehmen namens GoldTex. Ob noch mehr Länder betroffen sind und Magnapolis einverleibt wurden? Möglich. An manchen Stellen deutet es sich an. Die Namen von Straßen, Orten und Menschen lassen darauf schließen. Alles kommt vor: Englisch, Griechisch, Französisch. Der größte Konkurrent ist möglicherweise chinesisch. Welche Sprache gesprochen wird? - Unbekannt. Aber die Menschen verstehen sich irgendwie und überleben irgendwie. Die große Mehrheit in Zone 3, in Dreck und Verfall und Armut, mit wenig Aufsicht auf Aufstieg oder Besserung - einzig eine Lotterie macht Wenigen manchmal Hoffnung. Stattdessen werden sie verheizt für Projekte zur Lebensstandardsicherung der Zone 2, in der Privilegiertere leben, und Zone 1, dir der Elite vorbehalten ist. Zone 1 ist ein unerreichbares Schloss aus Glas. Und unerreichbar ist wörtlich zu nehmen: Checkpoints sicheren die Grenzen zwischen jeder Zone, der Zutritt zur jeweils höheren wird nur unter strengsten Ausnahmen und Auflagen gestattet. Bewegungsfreiheit: Fehlanzeige. Zone 1 entzieht sich vollständig der bedeutungslosen Mehrheit aus Zone 3, entzieht sich ihrer Vorstellungskraft, ihrer Kritik, selbst der Gerechtigkeit. Und damit erstickt auch jeder Funke, sich zu wehren, sich aufzulehnen, etwas zu ändern. Zone 3 hat sich der strikten Klassen-Gesellschaft, die Gaudé hier par excellence entwirft, gefügt. Bar jeden Drives ist auch Zem Sparak, Protagonist des Romans, Ermittler - in der Sprache des Romans: Hund (Schnüffler) - des GoldTex-Managements. Er hasst Magnapolis, er hasst sein Leben und sich selbst scheint er auch nicht so sehr zu mögen. Was ihn morgens aufstehen lässt ist sein veralteter Glaube an eine Gerechtigkeit, die der Megakonzern zu einer leeren Worthülse gemacht hat. Die er aber schwört, jedem neuen Opfer zukommen zu lassen.
Doch das neuste Opfer scheint ihm selbst diesen letzten Funken zu rauben. Der aufgeschlitzte uund ausgeweidete Mann zwingt Sparak mit Salia Malberg, Kommissarin aus Zone 2, zusammenzuarbeiten und genauer auf die neuen Machtstrukturen und auf seine schöne neue Welt zu schauen.

Gaudé entwirft eine düstere Zukunft, die in Ansätzen gar nicht so unrealistisch und gar nicht so weit entfernt scheint. Neu erfindet der Autor das Genre dabei nicht: Es gibt ein allmächtiges System, einen ergebenen - in dem Fall nicht unbedingt systemtreuen (das übernimmt eher das weibliche Pendant Salia), aber weil hoffnungs kapitulierenden - Protagonisten und ein Verbrechen, das eben jenen aus seiner starren Konformität herausreißt. Plötzlich können sich die Protagonisten der Ungerechtigkeit, all den Dingen, die falsch laufen, nicht mehr verweigern - und werden in ihrem Bestreben zwangsläufig selbst Opfer. Nicht immer ist alles stimmig in Gaudés Roman, aber er ist die meiste Zeit schwer auszuhalten und endet ganz im Sinne der Dystopie unversöhnlich.

Der Roman wird sicherlich nicht mein all time favourite, aber er ist auf seine Weise gut und konfrontiert die Leserinnen und Leser mit ein paar Wahrheiten, die scheinbar unaufhaltsam auf uns zukommen und die wir uns besser früher als später bewusst machen.

3,5 von 5 Sterne.