Rezension

Die Hüllen, die wir tragen

Deine kalten Hände - Han Kang

Deine kalten Hände
von Han Kang

Bewertet mit 4 Sternen

Jang Unhyong, ein Bildhauer, der vorzugsweise Hüllen des menschlichen Körpers herstellt, ist eines Tages verschwunden. Er hinterlässt ein Tagebuch, welches hoffentlich eine Spur beinhaltet, doch trotzdem wird er nicht gefunden. 

„Das Leben ist eine Hülle, die sich über einem Abgrund wölbt, und wir leben darauf wie maskierte Akrobaten. Mal hassen wir, mal lieben wir, und manchmal brüllen wir vor Wut. Über unseren Kunststücken vergessen wir, dass wir vergänglich sind und sterben müssen.“ (S. 299) 

In das Tagebuch des Künstlers tauchen wir als Leser ein und lernen den Menschen Unhyong etwas näher kennen. Sehr distanziert, aber auch eindringlich beschreibt die Autorin die lieblose Kindheit des Bildhauers, die bereits von Masken/Hüllen geprägt war. Später dann will Unhyong gerade diese Hüllen von ausgewählten Menschen und Körperteilen herstellen, indem er Gipsabdrücke nimmt. Und immer wieder schwingt ein Bedürfnis des Künstlers mit, diesen Maskierungen auf den Grund zu gehen und zu ergründen, was hinter der Maske verborgen ist. Dass dies ein schwieriges, nahezu auswegloses Unterfangen ist, macht die Autorin insbesondere auch durch ihre kühle Distanz dem Leser begreifbar. Mit keiner der Charaktere wird man richtig vertraut. Außer Unhyong sind alle namenlos. Die jeweilige (Schutz-)Hülle der Personen, mit denen Unhyong arbeitet, sorgt dafür, dass ein Näherkommen an die wahre Person unmöglich scheint. Und genau dies macht die Autorin meiner Meinung nach ganz bewusst und sehr gekonnt mit ihrer Sprache deutlich, die zudem oft auch poetisch ist und mir immer wieder unter die Haut kriecht.

Ein bisschen hatte ich zwischendurch jedoch das Gefühl, dass die Autorin zu sehr abdriftet und sich nur auf eine bestimmte Person konzentriert. Hätte man vielleicht etwas kürzen können. Da wurde der Künstler über eine längere Strecke zu sehr nebensächlich für meinen Geschmack.

Fazit: Eine faszinierende, unter die Haut gehende Geschichte, die mit einer passend kühlen Distanziertheit über traumatisierte Menschen erzählt, deren (Schutz-)Hüllen und den Versuch, diese zu durchbrechen. Am Ende für mich äußerst berührend.