Rezension

Die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten verdeutlichen, warum dieses Buch bis heute nicht an Aussagekraft und in erschreckender Weise noch nicht einmal an Aktualität verloren hat.

H. G. Wells - Gesammelte Werke - H. G. Wells

H. G. Wells - Gesammelte Werke
von H. G. Wells

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Mensch und Tier? Und wie weit darf die Wissenschaft gehen?“ Mit diesen Fragen lockt der Panini Verlag für den diesjährig erschienen Comic des Klassikers von H. G. Wells „Die Insel des Dr. Moreau“. Das nahm ich zum Anlass, um den Klassiker noch vor dem Comic zu lesen.

Am 1. Februar 1887 geht das Schiff „Lady Vain“ unter und man hatte bis dahin angenommen, die vier Leute, die sich ins Rettungsboot geflüchtet haben, seien umgekommen. Aber das ist nicht richtig. Einen Überlebenden, Edward Prendick, fand man elf Monate später auf einem Floß auf dem Ozean wieder. Doch wie hat er in der Zwischenzeit gelebt? Ja überhaupt – überlebt? Sein Bericht klingt so seltsam, dass man ihn für wahnsinnig hält, weswegen er selbst dazu übergeht, zu sagen, dass er sich an nichts erinnern kann.

Tatsächlich wird er kurz nach dem Schiffsunglück halbtot von einem Schoner aufgegriffen und von dem reisenden Arzt an Board zurück ins Leben geholt. Sein Lebensretter stellt sich als Montgomery vor und rettet ihm sogar ein zweites Mal das Leben, als der Kapitän den Schiffbrüchigen Prendick vom Schiff verweist und Montgomery ihm zusammen mit seiner tierischen Fracht auf die Insel folgt.

H(erbert) G(eorge) Wells zählt zu den Mitbegründern des Genres Science Fiktion und veröffentlichte „Die Insel des Dr. Moreau“ 1896. Die Geschichte ist eine Mischung aus Abenteuerroman und Schauergeschichte, die ebenso Science Fiktion-Elemente enthält und gespickt ist mit Gesellschaftskritik.

Wenn man sich vor Augen hält, wieviel Jahre die Geschichte schon auf dem Buckel hat, muss ich zugeben, dass Sie an Grusel und Schauer über die Jahrhunderte nichts eingebüßt hat! Man folgt Prendick auf die Insel und ebenso wie er hat man das unheimliche Gefühl das hier etwas nicht stimmt. Ganz und gar nicht!

„Das Schreien klang draußen noch lauter. Es war, als hätte aller Schmerz der Welt eine Stimme gefunden. Und doch – hätte ich gewußt, daß im Nebenzimmer solcher Schmerz zugefügt wurde, und wäre er stumm ertragen worden, ich glaube – so habe ich mir seither gedacht – ich hätte es ganz gut aushalten können. Erst, wenn das Leiden Ausdruck findet und unsere Nerven erbeben macht, quält uns das Mitleid.“

Wells Roman weist typische Klassifizierungen in Gut und Böse auf. Die Rolle des Bösewichts nimmt Dr. Monreau ein, der skrupellos die Grenzen des Mitgefühls für die Neuschöpfung der Wissenschaft überschreitet. Unser Erzähler Prendick ist dagegen die gewissenhafte Gegenfigur und durch die Schilderung seiner Gefühle erhalten wir einen Eindruck seiner sensiblen Art. Den Experimenten des Doktors steht er mit Abscheu entgegen und noch Jahre danach verfolget die Insel ihn in seinen Alpträumen.

Die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten verdeutlichen, warum dieses Buch bis heute nicht an Aussagekraft und in erschreckender Weise noch nicht einmal an Aktualität verloren hat. Von mir gibt es daher eine ganz klare Leseempfehlung zu diesem zeitlosen Klassiker. Übrigens gibt es „Die Insel des Dr. Monraeu“ auch als Hörbuch, gelesen von Andreas Lange. Ursprünglich wollten mein Mann und ich es im abendlichen Ritual zusammen hören, was wir recht schnell abgebrochen haben. Andreas Lange schreit regelrecht gewisse Dialoge heraus, wo es einer so lauten Betonung nicht bedarf. Auch fällt es schwer zu verfolgen, wer da gerade spricht – er gibt den verschiedenen Personen keine eigene Tonfärbung. Die Betonung und Aussprache waren für mich eine Zumutung. Um ein paar Beispiele zu nennen: Werkzeug – Werkzeuch; menschlichsten – Mänslisten; praktisch – prak – tich. Sehr schade, gerade weil er auch weitere Werke von Wells liest – aber er ist definitiv kein Sprecher für uns.