Rezension

Die wohl zauberhafteste Liebesgeschichte des Winters

Ein Winter in Wien - Petra Hartlieb

Ein Winter in Wien
von Petra Hartlieb

Bewertet mit 5 Sternen

Das Kindermädchen und der Buchhändler

Wer diesen Roman nicht gelesen hat, dem entgeht nicht nur die wohl zauberhafteste Liebesgeschichte des Winters, sondern auch ein Lesegenuss sondergleichen, denn Petra Hartliebs neuestes Werk Ein Winter in Wien ist einfach ein hinreißendes Buchjuwel. Es spielt in der österreichischen Hauptstadt um 1910 im gehobenen Währinger Cottage-Viertel, wo der angesehene Dramatiker und Erzähler Dr. Arthur Schnitzler, der mit Werken wie Liebelei, Reigen, Freiwild, Das weite Land u.v.m. zu einem der renommiertesten Vertreter der Wiener Moderne zählte, mit Ehefrau Olga und den beiden Kindern Heinrich, genannt Heini, 9, und Lili, 2, lebt.

Das neue Kindermädchen

Nachdem das alte Kindermädchen Hedi zwecks Heirat gekündigt hat, tritt die junge Marie Haidinger die Stelle im Haus der Schnitzlers an. Marie kann ihr Glück kaum fassen, denn zum ersten Mal scheint es das Leben gut mit ihr zu meinen. Nach einer arbeitsreichen und lieblosen Kindheit hatte sie ihr gewalttätiger Vater im Alter von nur 12 Jahren als Magd an einen Bauern verkauft, um einen Esser weniger zu haben. Doch nach einem traumatischen Erlebnis flüchtet Marie schon nach kurzer Zeit und will in all ihrer Ausweglosigkeit ihrem Leben ein Ende setzen. Die Kellnerin Josephine rettet sie in letzter Minute und besorgt ihr Arbeit in einem Wirtshaus. Marie ist angewidert von ihrer neuen Aufgabe, aber schon bald gelingt ihr ein kleiner gesellschaftlicher Aufstieg: Sie wird Küchenmädchen bei einer Bankiersfamilie. Doch sie hat sich zu früh gefreut: Man schikaniert sie von früh bis spät und zu guter Letzt verliert sie sogar ihren Job.

Endlich zuhause

Bevor Marie jedoch erneut um ihre Existenz bangen muss, bietet sich ihr die Chance auf eine Stelle als Kindermädchen bei den Schnitzlers, die sie zu ihrer großen Freude auch erhält. Und endlich fühlt sie sich angekommen und zuhause: Die Köchin und Haushälterin Anna ist nett und fürsorglich, das Dienstmädchen Sophie ist ein wenig schroff, aber umgänglich. Und auch mit den Kindern kommt sie wunderbar klar: Die kleine Lili mag sie auf Anhieb, Wirbelwind Heini ist zunächst etwas reserviert, doch schnell wächst Marie auch ihm ans Herz. Und auch über ihren Arbeitgeber kann sie nicht klagen: Dr. Schnitzler ist äußerst freundlich und geht sehr liebevoll mit den Kindern um. Nur seine Frau Olga könnte netter sein: Sie steht Marie sehr skeptisch gegenüber und hält sie als Kindermädchen für viel zu jung.

Ein Buchhändler namens Oskar

Eines Tages soll Marie in der alteingesessenen Buchhandlung Friedrich Stock ein Buch für Dr. Schnitzler abholen. Dort begegnet sie dem jungen Buchhändler Oskar Novak, der sofort ganz verzaubert von ihr ist. Auch Marie findet ihn sympathisch, ist jedoch äußerst zurückhaltend, wie es sich für eine junge Frau in ihrer Stellung geziemt. Da Dr. Schnitzler des Öfteren Bücher bei Stock bestellt, kreuzen sich ihre Wege immer wieder, und Oskar macht Marie zu ihrer großen Freude hin und wieder kleine Buchgeschenke. Marie ist fasziniert – von der Literatur und von Oskar – und willigt sogar ein, mit ihm an ihren freien Tagen spazieren zu gehen. Sie genießt die gemeinsame Zeit mit ihm und könnte nicht glücklicher sein.

Spurlos verschwunden

Doch dann passiert etwas, das Marie völlig aus der Bahn wirft: Bei einem Besuch des Christkindl-Marktes gemeinsam mit Heini verliert sie den überaktiven Jungen aus den Augen. Er verschwindet spurlos in der Menge, und Marie ist am Boden zerstört, denn sie kann ihn nirgends finden. Sie traut sich nicht mehr nach Hause und sieht in ihrer Verzweiflung nur einen schrecklichen Ausweg…

Ein wundervoller historischer Roman mit liebenswerten Protagonisten

Petra Hartliebs Roman hat mich von der ersten Seite an begeistert. Sie lässt nicht nur das vibrierende Wien um 1910 auf beeindruckende Weise lebendig werden, sondern hat mit Marie und Oskar zwei liebenswerte Protagonisten geschaffen, die dem Leser ans Herz wachsen. Mittels der tragischen Lebensgeschichten von Marie und Oskar zeichnet Hartlieb zudem ein aufschlussreiches Porträt der sozialen Zustände einer Epoche, in der Glanz und Schatten eng beieinander lagen. Dies gelingt der Autorin, ohne dabei in Kitsch oder Tränenhascherei zu verfallen. Sie visualisiert die tiefste Armut der Unterschicht und die Opulenz der Oberen mit ihrer singulären Erzählkunst und gewährt uns mit Marie, Oskar und den Schnitzlers informative – und allzu menschliche – Einblicke in beide Welten. Dieser Aspekt hat mir sehr gefallen. Dies gilt ebenso für die wunderschöne Liebesgeschichte der beiden Hauptfiguren, die herrlich romantisch ist. Mein Fazit: Ein ganz zauberhaftes Buch, das unbedingt nach einer Fortsetzung verlangt!