Rezension

Dunkle Geheimnisse

Das Haus der Lügen - Stephanie Lam

Das Haus der Lügen
von Stephanie Lam

Außergewöhnliches Erstlingswerk

Stephanie Lams Erstlingswerk ist ein außergewöhnlicher historischer Roman, dessen mysteriöse und fesselnde Geschichte sich in zwei Handlungssträngen entfaltet. Dieser Erzählstil gefällt mir sehr, denn ich mag es, wenn Vergangenheit und Gegenwart abwechselnd in Bezug zueinander gestellt werden. Dies ist Stephanie Lam bestens gelungen. Die von ihr erdachten Charaktere sind bis ins Detail ausgereift und beinahe lebensecht. Darüber hinaus hat die Autorin die spezielle Atmosphäre der unterschiedlichen Epochen - 1924 und 1965 - so brillant eingefangen, dass man als Leser ganz leicht zwischen den Zeiten wechseln kann und immer wieder in eine neue Geschichte eintaucht, bis alles zu einem stimmigen Ganzen zusammenfliesst. Alles in allem ist Das Haus der Lügen sehr packend und unterhaltsam mit einigen überraschenden Wendungen, die dazu verleiten, das Buch in einem Zug zu lesen.

Spuren der Vergangenheit

Die erste Geschichte des Romans spielt 1965 in der Küstenstadt Helmstone. Die 18-jährige Rosie Churchill, die überstürzt ihr Elternhaus verlassen hat, mietet sich in der einstmals glamourösen, aber mittlerweile heruntergekommenen Villa am Meer -  Castaway House - ein, wo sie sich ein Zimmer mit Val und Susan teilt. Da das Geld knapp ist und sie ihre Miete kaum zahlen kann, hilft sie Mrs. Hale, der Tochter des Dorfarztes, in deren kleiner Pension. Sie freundet sich mit Johnny und seiner Freundin Star, der Enkelin der mysteriösen Hausbesitzerin, an, die noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Nur langsam gewöhnt sich Rosie an ihre neue Umgebung - die Anrufe ihrer Mutter ignoriert sie, was niemand nachvollziehen kann. Da trifft sie den alten, verwirrten Dockie, ebenfalls Mieter in Castaway House, der nach Spuren seiner Vergangenheit sucht. Er war vor Jahren bewusstlos an den Docks gefunden worden ohne jegliche Erinnerung daran, wer er ist bzw. wie er dort hingelangte. Daher rührt auch sein Name Dockie. Er trägt immer ein sehr altes Foto bei sich, das Rosie seltsamerweise zu kennen glaubt. Als sie dann noch unter dem Fensterbrett ihres Zimmers die rätselhafte Einritzung Robert Carver ist unschuldig entdeckt, ist sie entschlossen, Dockie zu helfen, sein Erinnerungsvermögen zu reaktivieren. Doch überall stösst sie auf eine Mauer des Schweigens und ein Geheimnis, dessen Aufdeckung auch ihr Leben verändern wird...

Fatale Liebe

Schauplatz der zweiten Geschichte ist ebenfalls Helmstone im Jahre 1924. Der 19-jährige Robert Carver fährt zu seinem Cousin Alec Bray und seiner Frau Clara, um dort in Castaway House, deren imposante Villa auf den Klippen, den Sommer zu verbringen und sein Asthma auszukurieren. Doch der Empfang ist alles andere als herzlich: Alec, ein Bonvivant, der nicht mit Geld umgehen kann, vergisst, Robert am Bahnhof abzuholen und seine Frau Clara, von deren Existenz Robert bis dahin gar nichts wußte, teilt ihm unverblümt mit, dass sie ihn für einen Schmarotzer hält. Robert ist außer sich über die unverschämte Bemerkung, doch er genießt die Sommerzeit, zumal seine Gesundheit sich deutlich verbessert. Doch die Spannungen zwischen Alec und Clara werden immer größer, und ihre Auseinandersetzungen, bei denen Robert oftmals anwesend ist, häufen sich. Als Clara Castaway House immer öfter fernbleibt, ist Robert überzeugt, dass sie Alec betrügt, und so verfolgt er sie, um sie in flagranti zu erwischen. Doch zu seiner großen Überraschung entdeckt er, dass sich hinter Claras schroffer Fassade ein völlig anderer Mensch verbirgt, der ihm sogar sehr ähnlich ist. Robert fühlt sich gegen seinen Willen mehr und mehr zu ihr hingezogen, auch wenn er weiß, dass seine Liebe niemals eine Zukunft haben wird. Auch Robert ist Clara nicht gleichgültig, und so kommt es zu einer verhängnisvollen Affäre, die für alle dramatisch endet... 

Brillante Charaktere im Spiegel der Zeit

Dieser Roman lebt von den brillant gezeichneten Charakteren. Meines Erachtens sind Robert und Clara am besten gelungen. Ihre tragische Liebesgeschichte ist unkonventionell und sehr anrührend, aber niemals kitschig. Auch Alec als reicher Taugenichts ist sehr gut porträtiert, ebenso Rosie, deren kopflose Flucht aus dem Elternhaus einen schmerzlichen Hintergrund hat. Die mysteriöse Figur des alten Dockie, der zwischen Verwirrtheit und Erinnerung schwankt, ist in ihrer Widersprüchlichkeit besonders ansprechend. Dem Leser ergeht es wie Rosie: Er möchte unbedingt das Geheimnis um Dockies Identität entschlüsseln und begibt sich mit auf Spurensuche. Was er am Ende dann herausfindet, ist mehr als überraschend und lässt die exzellent konzipierte Geschichte in einem völlig anderen Licht erscheinen.