Rezension

Ein außergewöhnliches Buch

Der Augenblick - Irene Matt

Der Augenblick
von Irene Matt

„Alle sind so gut zu mir, das habe ich nicht verdient. Ich habe ihn gefragt, warum er sich die Mühe für mich, eine Mörderin; macht. Daraufhin hat er gesagt: „(…) Es ist nicht der Hass, sondern es ist die Liebe, die uns rettet.“
Die Ermittlerin Alexandra Keller kommt gerade von einer Auszeit zurück, da landet der Fall Marcel auf ihrem Tisch. Ein Säugling, der ermordet aufgefunden wurde. Als die Täterin bekannt wird, wirft das mehr Fragen auf, als es beantwortet.
Wie ist es möglich, dass ein Mensch, dessen Leben in geordneten Bahnen lief, von einem Augenblick auf den anderen ein schweres Verbrechen begeht?
Um diese Frage zu beantworten, tritt ihr ehemalige Ausbildner Hermann Rau an Alexandra heran. Er möchte eine Gruppe bilden, die sich eingehend mit solchen Fällen und den Tätern beschäftigt, ihnen hilft, diese Frage für sich selbst zu beantworten! Und herauszufinden, ob sie es wieder tun könnten…
Das Buch beginnt packend und gruselig, wir erleben hautnah mit, was mit Marcel geschieht… Und schon hier habe ich mich gefragt, was kann der Grund sein, warum geschieht das?
Im weiteren Verlauf beschäftigen wir uns mit genau dieser Frage. Der Leser ist stiller Beobachter der Gruppe, die sich aus einem Pfarrer, Hermann, Alexandra, einer Analytikerin und Nikolaus Kleeberg, einem forensischen Psychiater sowie fünf Tätern zusammensetzt. Alle außer Nikolaus Kleeberg sind sehr bemüht, den Tätern eine sichere Umgebung zu bieten, in der sie sich öffnen können. Um zu ergründen, was in genau jenem Augenblick passierte, der ihr Leben und das weiterer Betroffener so dramatisch verändert hat.
Und zwangsläufig stellt man sich selbst die Frage, was davon könnte mir passieren, unter welchen Umständen wäre ich zu einer irrationalen Tat fähig, die tragisch enden könnte?
Einen wichtigen Part übernimmt Nikolaus Kleeberg, er stört die Runde und meine Überlegungen immer wieder mit sarkastischen Kommentaren. Für ihn ist das alles nur Theater der Täter, um einer gerechten Strafe zu entkommen. Und damit sprach er – zwar in übertriebener Sprache – Gedanken aus, die auch durch meinen Kopf geistern. Gibt es noch eine andere Stufe als die Unzurechnungsfähigkeit? Kann jemand zurechnungsfähig sein und dennoch in einem Moment so von seinen Gefühlen überwältigt, dass er eine Straftat begeht?
„Der Augenblick“ ist ein Roman, der mich tief in die Psyche von Menschen wie du und ich es sind, geführt hat. Der mich über Schuld und Strafe nachdenken ließ, über schlechte Träume und gute Menschen. Über Vergangenheit, die oft präsenter ist als die Gegenwart…
Ein Buch, das sich nicht auf das laute Verbrechen konzentriert sondern auf den Moment der Stille, der ihm vorausgeht.
Ob ich für mich eine Antwort gefunden habe? Nein, aber ich werde weiter darüber nachdenken…