Rezension

Ein berührender, großartiger Roman

Die Kriegerin -

Die Kriegerin
von Helene Bukowski

Bewertet mit 5 Sternen

Als Lisbeth in Berlin alles zu viel wird, dreht sie sich auf dem Absatz um, verlässt Mann und Kind und fährt in den Ostseeort, in dem sie als Kind mit ihren Eltern die Ferien verbrachte. Der Vermieter von damals erkennt sie sofort als „das Mädchen mit der kaputten Haut“. Offenbar hat sich gerade ein Kreis geschlossen, als Lisbeth sich in einem Neurodermitis-Schub nachts im Schlaf blutig kratzte wie als Kind. Zufällig wählt sie ihr Reiseziel nicht; denn „die Kriegerin“, die Frau, mit der sie vor 10 Jahren gemeinsam ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr absolvierte, stammt aus dieser Gegend. „Was ist in deinem Leben geschehen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben“, fragt die, in deren eigenem Leben Auslandseinsätze inzwischen als „friedenserhaltende Maßnahmen“ beschönigt werden, als sie sich am Strand entgegenlaufen. Wie die früh ergraute Fallschirmjägerin mit Vornamen heißt, wird Helene Bukowski erst viele Seiten später verraten. Im nächsten Schritt nimmt die junge Floristin eine Stelle auf einem Kreuzfahrtschiff an, wo sie für Blumenschmuck an Bord, Verkauf und Passagier-Bespaßung zuständig sein wird. Der sichtlich gealterte Bungalow an der Ostsee wird in der Folge zum Zufluchtsort, an dem die Frauen sich zwischen ihren Einsätzen treffen.

„Die Kriegerin“ zeigt bei den Treffen alle Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung, was nach Bundeswehreinsätzen in sämtlichen Krisengebieten nicht verwundert. Zögernd tasten die Frauen sich heran an das, das sie verbindet und vor dem sie die Leser:innen des Romans zunächst noch schützen können. „Kriegerin“ wurde von ihrer Großmutter ermuntert, sich zu wehren, schießen zu lernen und - wie sie selbst - stets drei Steine in der Tasche zu haben, um mögliche Angreifer zu vertreiben. Von der Großmutter hat sie deren Trauma geerbt, die während des Zweiten Weltkriegs gerade an dem Tag vergewaltigt wurde, als sie ihre Steine ein einziges Mal vergessen hatte. Steine, ausgetrocknete und verwüstete Ebenen erleben beide Frauen in ihren Alpträumen, als würden sie gegenseitig ihre Träume träumen. Beide haben Gewalt erfahren und Gewalt ausgeübt. Da „die Kriegerin“/Florentine eine Therapie ihres Traumas jedoch geschickt vermeidet, wird es für beide Frauen ein weiter Weg sein, ehe sie die Kontrolle über den eigenen Körper zurückerobern können.

In auf den ersten Blick einfachen Sätzen im Präsens verbirgt Helene Bukowski zunächst mehr über ihre Figuren als sie erzählt. Stellvertretend für ihre Protagonistinnen scheint sie ungewöhnlich verschwiegen und auf der Hut zu sein, sie wirkt fürsorglich, entschlossen ihre Figuren vor neugierigen Blicken zu schützen. Dennoch gibt sie Einblick in eine Welt, in der noch vor kurzer Zeit entschieden bestritten wurde, dass eine Frau Soldat/eine Kameradin sein könne. Um zu erfahren, wo der Bungalow liegt, aus welchem Hafen Lisbeth zu ihrer ersten Reise aufbricht, wie die Frauen sich kennlernten und welches Geheimnis Lisbeth verbirgt, ist Geduld aufzubringen und sind schockierende Ereignisse zu verkraften. Die Handlung spielt auf unterschiedlichen Zeitebenen, an verschiedenen Schauplätzen, zeigt alte und neue Briefe und den Blickwinkel weiterer Personen. Es geht um Ausgrenzung, Selbstverletzung, Kriegstraumata, Epigenetik – und wenig verwunderlich, um Gewalt an Frauen.

Großartig!