Rezension

Ein dunkles Kapitel der Wiener Geschichte

Isidor -

Isidor
von Shelly Kupferberg

Bewertet mit 5 Sternen

„...Isidors Geschichte und die derjenigen, die ihn umgaben, zusammengesetzt aus Bruchstücken, Überlieferungen, Recherchen und Dokumenten – sie sei hier erzählt…“

 

Mit diesen Worten führt die Autorin in das Buch ein. Isidor war ihr Urgroßonkel.

Die Autorin hat eine intensiv recherchierte Romanbiografie geschrieben. Gleichzeitig wird hier das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Wien deutlich.

Der Schriftstil ist über weite Strecken sachlich. Das macht manche Dinge um so eindrücklicher und erschreckender.

Walter ist der Großvater der Autorin. Er war 1938 neunzehn Jahre alt, als er Wien verlassen und nach Palästina ausgereist ist. Im Jahre 1956 kehrt er nach Wien zurück.

Dort klingelt er bei dem Hausmeisterehepaar in seinem ehemaligen Elternhaus. Die wohnen jetzt in der dritten Etage.

 

„...In den wenigen Sekunden, ehe sie die Tür vor Walters Nase zuschlägt, kann er einige Möbel seiner Eltern und ehemaliger Nachbarn ausmachen. Walters Wienbesuch ist beendet...“

 

Diese Zeilen sagen alles über die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Den großen Teil des Buches nimmt Isidors Leben ein. Er wird in Galizien in einer strenggläubigen Familie geboren. Doch die Zeit ist im Umbruch. Nachdem der älteste Bruder seine Zukunft in Wien gefunden hat, folgen ihm die anderen Geschwister.

Isidor studiert Jura, macht den Doktor und arbeitet sich sehr schnell in der gesellschaftlichen Stellung nach oben. Er verinnerlicht die Idee eines modernen, angepassten Judentums. Heute würde man ihn als Dandy bezeichnen.

Im Ersten Weltkrieg kommt er durch geschickte geschäftliche Transaktionen zu Reichtum. Er widmet sich fortan Kultur und Kunst und wird ein leidenschaftlicher Sammler.

Noch ahnt er nicht, dass sein Reichtum sein Untergang sein wird. Er unterschätzt die Idee des Nationalsozialismus und wähnt sich unangreifbar.

 

„...Als assimilierter Jude der Donaumetropole sehe sich Isidor mitnichten als Teil einer fremden Nation, eine Zuweisung, die der Zionismus auch noch unterstreiche mit seiner Auffassung, die Juden sein ein eigenständiges Volk. Und Religion, so Isidor, sei überdies reine Privatsache...“

 

Erschreckend fand ich, wie schnell die Bevölkerung von Wien sich diesem Regime gebeugt und die Axt an die Wurzeln des Judentums in ihrer Stadt gelegt hat. Es waren jüdische Persönlichkeiten, die die Stadt zu einem Zentrum von Kunst und Kultur gemacht haben. Jetzt will der Staat deren Geld. Die eigenen Angestellten werden zu Denunzianten. Alle Wohltaten sind vergessen.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es zeigt, wie schnell in der Weltstadt Wien kleine Geister das Regime übernommen haben.