Rezension

ein erstaunlich vielschichtig, philosophischer Roman über das Leben und die Frage nach Gerechtigkeit

Intimitäten -

Intimitäten
von Katie Kitamura

Bewertet mit 4.5 Sternen

Egal wie gut man jemanden kennt oder besser gesagt zu kennen glaubt, alles bleibt nur ein Ausschnitt, aus dem unser Gefühl und unsere Gedanken ein vollständiges Bild des jeweils anderen erstellen. Und ob das der Realität entspricht, ob man einem Mörder seine Tat ansieht, Lügen und Beschönigigungen aufdecken kann und ob sich nahestehende Personen wirklich in und auswendig kennen... ist zweifelhaft. Katie Kitamura konfrontiert die Leser*innen ihres Romans "Intimitätn" mit sehr vielen intimen Situationen, Gedanken und eben auch mit vielen unausgesprochenen Dingen, Zweifeln, Vorurteilen des menschlichen Handelns.
Die Inszenierung einer Aussage am Gericht, die Offenheit eines Partners, von Freunden und Verwandten oder x-beliebigen Menschen, die kurzzeitig unsere Aufmerksamkeit erregen, gefühlt kann man sich nie wirklich sicher sein, ob es echt ist, so passiert ist, eine wirklich tiefere Verbindung besteht oder alles wirklich der Wahrheit entspricht. Manchmal belügen wir uns sogar selbst und versuchen stets andere einzuschätzen, mit unseren Erfahrungen abzugleichen, Unsicherheiten im Auftreten oder der Stimme zu deuten. Intime Momente sind dabei so eine Art Vertrauensbeweis und doch immer nur eine Perspektive und Erkenntnisgewinn.
Und gerade diesen Themenkomplex - das menschliche Handeln und Denken - finde ich wahnsinnig spannend. Kitamura beginnt sich diesem Thema durch die Sprache und dem Ort, von dem nur wenig nach Außen dringt, zu nähern, zieht immer größere Kreise, es kommt zu verschiedenen Begegnungen und alles endet dann doch wieder bei ihrer Protagonistin, die einfach nur irgendwo ankommen und Halt finden mag. Fast schon ruhig, sachlich und neutral erklärt sie dabei die Vorgänge und Schwierigkeiten am Gerichtshof, sowie Grenzen der Gerechtigkeit, die Bedeutung der Übersetzung und Sprache, lässt persönliche Erlebnisse ihrer Erzählerin außerhalb des Hofs mit einfließen und beschreibt sehr empathisch und offen von ihren Gedanken, Gefühlen und Zweifeln. Einen Spannungsbogen sucht man in diesem Roman vergeblich und doch ist es gerade das Ungewisse, das ruhige, professionelle Verhalten und die emotionale, aufgewühlte Kehrseite, sowie die Interaktion auf unterschiedlichsten Eben das, was die Leser*innen durch den Roman treibt. Für mich hätte es gern noch einen größeren Aha-Moment geben können, aber wie im echten Leben, kennt und erlebt man immer nur einen Ausschnitt vom Wesen und Leben des anderen, schreibt seine eigene Geschichte, teilt Fragmente mit anderen und weiß am Ende eigentlich nur selbst, ob man so ist, wie man wirklich ist. Dieser Ausschnitt war toll. Die Bilder, sowie zahlreichen Fragen werden mich sicher noch eine ganze Weile begleiten.