Rezension

Ein Experiment, das fassungslos macht ...

Erstaunen -

Erstaunen
von Richard Powers

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der Astrobiologe Theo Byrne bleibt nach dem Tod seiner Frau allein mit der Verantwortung für seinen besonderen Sohn Robbie. Ohne Alyssa als Vermittlerin zwischen einem Kind mit Zügen aus dem Autismus-Spektrum und der Welt draußen konnte ich mir Robbie nur schwer vorstellen. Als Robbies Schulprobleme in einem Gemenge aus Mobbing und pädagogischem Versagen eskalieren, nimmt Theo seinen Sohn für eine mehrtägige Wanderung in den Smokies aus dem Unterricht. Zutiefst misstrauisch gegenüber Ärzten und der Forderung Außenstehender, Robbies Verhalten mit Medikamenten zu dämpfen, verspricht sich Theo eine positive Wirkung der „Schule des Waldes“. Der Vater erlebt in der Dunkelheit des Waldes und in unberührter Natur ein panisches Stadtkind, um das er sich vermutlich bisher zu wenig gekümmert hat. Der Dreiklang aus Vater, Sohn und Natur dient offensichtlich beiden zur Trauerbewältigung. Auch wenn Theo von kindlicher Entwicklung bisher wenig Ahnung zu haben scheint, ist er - als Wissenschaftler - offenbar der Einzige, der den Interessen seines Sohnes folgen kann.

Während Robbie als Sohn einer engagierten Tierschutz-Aktivistin in seinem persönlichen Artenschutz-Projekt aufgeht, lässt Theo sich von seinem Chef überreden, per Neuronalem Feedback eine Verhaltensintervention bei seinem Sohn durchzuführen. Theo verspricht sich davon, dass Robbies Verhalten durch eine künstliche Intelligenz - ohne Medikamente - gerade so weit beeinflusst wird, dass es keine Konflikte mehr in der Schule gibt. Ohne Schulabschluss wird es für den Jungen schwer sein, später seine unbestreitbaren Talente auszuleben. Robbies Behandlung nimmt jedoch schon bald für Leser der Gegenwart schwer nachvollziehbare Ausmaße an. Es stellt sich die Frage, wessen Wohl Wissenschaft dient und in wessen Taschen am Ende die Gewinne landen …

Der Original-Titel "Bewilderment" lässt sich auch mit Fassungslosigkeit übersetzen – und fassungslos wird Richard Power viele Leser mit seinem gedanklichen Experiment zurücklassen.