Rezension

Ein großer, weißer Fels, eine kleine, große Enttäuschung

Der weiße Fels -

Der weiße Fels
von Anna Hope

Bewertet mit 2 Sternen

Fast schon ein heiliger Pilgerort ist der weiße Fels vor der mexikanischen Küste im Laufe der Zeit geworden, einige Geschichten und Überlieferungen ranken sich um ihn und machen ihn zu einem bedeutsamen Zufluchtsort, einer Opferstätte und einen Punkt für den Neuanfang. Auch in Anna Hopes Roman "Der weiße Fels" bekommt eben jener riesige Stein eine zentrale Funktion. Er ist nicht nur ein "Ort an dem die Welt geboren wurde", er steht auch für den Aufbruch und als Symbol, bringt Menschen zum Umdenken, lenkt ihr Schicksal noch einmal in ganz andere Richtungen und vereint mehrere Schicksale miteinander... 

"Du hast gesagt, du willst weg von hier, und da fiel mir ein Ort ein. Es gibt da einen weißen Felsen im Meer. Die Indios behaupten, dass dort die Welt geboren wurde. Sie machen Pilgerreisen dorthin. Der Ort ist wunderschön und wild. Ich glaube, er würde dir gefallen. Dies ist ein Geschenk. Durchtrenne deine Fesseln."

Ich persönlich weiß gar nicht, ob ich dieses Buch wirklich als Roman betiteln würde, macht die Geschichte aufgrund der Aufteilung und Unterteilung in einzelne Abschnitte, die in jeweils ganz anderen Zeiten spielen und bis auf den Felsen kaum miteinander zutun haben, aus ihm eher eine lose Sammlung von Erzählungen. Hope nähert sich dabei schrittweise dem Auftauchen des Felsens, reist mit ihren Figuren in der Zeit zurück um sich anschließend wieder langsam der Gegenwart zu nähern. Die Anwesenheit des Felsens, manchmal zufällig, manchmal als Zufluchtsort, immer präsent und irgendwie auch nicht. Die erste Schilderung einer Schriftstellerin, ihrem Mann und der dreijährigen Tochter, die sich mit ein paar anderen in einem Van langsam durchs zentrale und nordwestliche Mexiko bewegen und den Fels schlussendlich als Ziel ansteuern, hat mir durchaus noch sehr gefallen. Das Ausbrechen der Corona-Pandemie, die die Welt auf den Kopf stellt, gar zusammenbrechen lässt, während eine kleine Reisegruppe, abseits von allem sich langsam diesem heiligen Pilgerort nähert, dort Opfer erbringt, sowie einen Teil ihres Lebens mit all den Sorgen und Problemen zurücklassen möchte und zeitgleich sich dem Neuen zuwenden will, fand ich gedanklich sehr spannend, hatte es doch irgendwie so etwas greif- und nachfühlbares im Kontrast zur überfordernden Welt. Die Bedeutung des Felsens und die Mythen werden hier bereits herausgearbeitet und das macht wirklich Lust auf mehr. So erzählt die Schriftstellerin z.B. von ihren Recherche, die sie kurz vor der Reise noch erledigte. "Der Ort war nicht nur ein Heiligtum der Wixárika, sondern hatte den spanischen Kolonialmächten im achtzehnten Jahrhundert als wichtiger Außenposten gedient; von seinem Hafen liefen ihre Schiffe aus, um Kalifornien und den nördlichen Pazifik zu erobern. Das Schiff, das im Jahr 1775 die ersten Europäer in die Bucht von San Francisco gebracht hatte, war hier gestartet." "Sie erzählte den Männern auch, dass der Hafen das unfreiwillige Ziel Tausender Yoemem gewesen war, die Porfirio Díaz Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aus Sonora deportieren ließ.[...] In Guaymas wurden Tausende Männer und Frauen, Kinder und alte Menschen auf Bote gepfercht und ins drei Tage südlich gelegene Nayarit gebracht, wo sie in Sichtweite des weißen Felsens an Land gingen." "Im Jahr 1969 hatte ein fünfundzwanzigjähriger Sänger ein Wochenende dort verbracht. Zwei Jahre später, 1971, würde man ihn tot in einer Badewanne in Paris auffinden, geflohen vor sich selbst, vor dem Gesetz und vor einem Amerika, das durch den Vietnamkrieg immer finstere und verstörender wurde..." 

In den weiteren Kapiteln erzählt Hope von genau diesen Menschen, ihrem Leid und ihren Geschichten und da, muss ich leider sagen, hat sie mich dann auch langsam verloren. Die Geschichten um den Sänger, der seinen Kummer und die Gedanken in Alkohol ertränkt und dann Bekanntschaft mit einem Jungen macht, der ihn unbedingt ins nächste Dorf führen will, die zwei Mädchen des indigenen Yoeme-Stamms, die dorthin verschleppt werden und der Leutnant, der hier mit seinem Schiff in See stechen möchte, sie alle haben mich emotional kaum noch berührt oder mitgerissen. Die zusätzliche Teilung der jeweiligen Erzählung in zwei Abschnitte machte es für mich dann auch nicht gerade interessanter, eher verstärkte sie das schwindende Interesse, sodass ich mich am Ende dann fast schon fragen musste, warum ich dieses Buch eigentlich lesen wollte. Eigentlich mag ich bei diesem Buch auch gar nicht so nörgelig sein, war es vielleicht für mich einfach nicht das mitreißende Thema, das ich mir anfangs noch ausmalte, aber mir fällt leider auch nur wenig Positives ein. The Guardian sprach von einem "Lesevergnügen" und, ich glaube, wenn man sehr geschichtsträchtige Orte liebt, sich auch gerne mal durch trockener Texte kämpft und sich den Erlebnissen drum herum nähern mag oder ein Fan von Jim Morisson ist/war, ist dies wirklich ein interessanter Blick, aber für mich hat da zum großen Vergnügen doch so einiges gefehlt.