Rezension

Ein Muss für jeden Kinderbuchliebhaber!

Die höchst wundersame Reise zum Ende der Welt - Nicholas Gannon

Die höchst wundersame Reise zum Ende der Welt
von Nicholas Gannon

Schon aufgrund des Covers hat mich dieses Buch wahnsinnig neugierig gemacht. Die Farbgebung und der klassische Zeichenstil haben auf mich genau die Wirkung gehabt, die erreicht werden sollte, nämlich dass ich den Eindruck hatte, dass das Buch aus einer anderen Zeit stammt. Als ich es dann aufschlug und meine Finger wie automatisch über das geriffelte, dunkelgrüne Vorsatzpapier strichen und die ersten Seiten mit den wunderbaren Illustrationen aufschlugen, war es um mich geschehen! Und zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, was mich eigentlich für eine Geschichte im Buch erwartet würde. Diese Geschichte ist etwas für wahre Träumer! Für Menschen, die noch daran glauben können, dass eine Seifenblase ohne zu Platzen die Welt erobert kann.

Glaubst du nicht, es wäre schön, eine flauschige weiße Masse zu sein und auch die Welt von oben anzuschauen, während man in sicherer Entfernung darüberschwebt? (S.68)

Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll, denn eigentlich hat mich einfach alles in diesem Buch zum Schwärmen gebracht. Archer Helmsely ist der wohl ungewöhnlichste Protagonist, der mir seit langem in einem Buch begegnet ist. Archer spricht mit den ausgestopften Tieren, die im Helmsley-Haus der Dekoration dienen. Das tut er nicht, weil die Gespräche anregend oder hilfreich sind, sondern weil sie ihn von seiner Einsamkeit und Langeweile ablenken. Dabei vergisst man als Leser oftmals, dass sich Archer die Gespräche bloß einbildet, denn die Schlagfertigkeit der Tiere ist urkomisch und sarkastisch. Gleichzeitig leidet man beim Lesen sehr mit Archer, denn die Abenteuerlust seiner Großeltern brennt in ihm wie ein Feuer, das aber von seiner Mutter erstickt wird, indem sie Archer ins Haus sperrt.

Archer war genau wie seine Großeltern. Und das durfte man nicht zulassen. Mrs Helmsley wollte nämlich nicht dabei zusehen, wie Archer auf einem Eisberg aufs Meer hinaus trieb. (S. 43)

Im Gegensatz zu Archer, der seine Tage damit verbringt abenteuerliche Pläne zu schmieden, um seine Großeltern in der Arktis  zu finden, steht sein bester Freund Oliver Archers Ideen eher skeptisch und ängstlich gegenüber. Äußerst witzig fand ich, dass Oliver zwar immer denkt, dass er mit Archer nicht auf Reisen gehen möchte, er aber trotzdem alle aberwitzigen Vorbereitungen seines Freundes mitmacht. Und das kann auch bedeuten, dass er gemeinsam mit Archer und Adélaïde Eiswürfel lutscht, um sich auf die Kälte der Arktis vorzubereiten.

Adélaïde hat mir als Figur ebenfalls sehr gut gefallen. Sie gibt Archer das nötige Selbstvertrauen, das er braucht, um daran zu glauben seine Großeltern lebend wiederzufinden. Adélaïde ist ein Mädchen, das nur zu bewundern ist. Bei einem schweren Unfall hat sie ihr Bein verloren und erzählt allen, die es hören wollen, dass ein Krokodil ihr Bein gefressen habe. Diese Lüge dient ihr zum Schutz vor der bedrückenden Wahrheit und macht sie für den Leser sehr authentisch und trotz der Lüge sehr sympathisch.

Er ließ den Verschluss des Koffers aufschnappen, klappte den Deckel auf und war sofort von einem eigenartigen Duft eingehüllt - eine Spur von Seetang, ein Anflug von Nebel und ein leichter, aber deutlicher Hauch von Sumpf. (S. 46)

Obwohl Archer von der Welt außerhalb des Helmsley Haues noch nicht viel gesehen hat, hat er eine wunderbare Vorstellungskraft und die Fähigkeit seine Tagträume lebendig werden zu lassen. Mich hat sehr fasziniert, wie stark Archers Wunsch nach Freiheit ist und wie ansteckend! Ich hatte beim Lesen das Gefühl, ich müsste sofort auf eine Expedition ins Unbekannte aufbrechen, weil ich sonst etwas verpassen würde. Nicht nur mich, auch seine beiden Freunde haben sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr von Archers Abenteuerdrang anstecken lassen, sodass das schlichte Einfangen von Glühwürmchen (siehe Abbildung), das Durchkämmen eines verwilderten Gartens oder das Durchstöbern einer Bibliothek für die Dreien zu einem einmaligen Erlebnis wird. Nicholas Gannon schafft es mit seiner Geschichte, den Blick auf die Schönheit von kleinen Ereignissen zu richten, für die viele Menschen im Stress und der Hektik des Alltags das Gespür verloren haben. Mich hat die Geschichte gelehrt, bewusster den unscheinbaren Dingen im Leben wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken – so wie man es als Kind noch getan hat.

Ein kurzes Wort möchte ich ebenfalls noch zum Setting der Geschichte loswerden (obwohl kurz hier eigentlich unmöglich ist). Der Haupthandlungsort der Geschichte ist das Haus der Helmsleys, Archers Zuhause. Durch die wunderbaren Illustrationen, die der Autor selbst gezeichnet hat, wird das Haus der Helmsleys großartig veranschaulicht und es gibt sogar eine Zeichnung des Hauses, die aussieht, wie aus einem Bauplan entnommen. Die Räume wirken zwar steril, aber gleichzeitig sehr geheimnisvoll! In jeder Ecke der vielen Zimmer und aus jeder Illustration der Innenräume spricht der Geist der Großeltern und für mich auch pures Fernweh. Ob altertümliche Funkgeräte, Koffer oder ausgestopfte Tiere – jedes Detail auf den Bildern verleiht der Geschichte die wunderschöne Atmosphäre vergangener spannender Zeiten.

Fazit & Bewertung

Die Geschichte von Archer, der um jeden Preis seine Großeltern und gleichzeitig seine Freiheit finden möchte, hat mich wahnsinnig berührt. Dass er nicht wahrhaben möchte, was alle anderen und einschließlich seine Eltern denken, nämlich dass seine Großeltern tot sind, macht ihn für mich zu einem stillen, aber großen Helden der Geschichte. Die Geschichte hat mich nachdenklich gestimmt und gleichzeitig absolut begeistert! Dieses Buch ist eines der wahren Geschichten-Schätze, die jeder Liebhaber im Regal stehen haben sollte!

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