Rezension

Ein Reinfall

Königliche Krankheit - Barbara Vine

Königliche Krankheit
von Barbara Vine

Bewertet mit 1.5 Sternen

Ich möchte diese Rezension nicht schreiben. Ich fühle mich, wie Sheldon Cooper, als er einen Wiederruf schreiben musste. Oder wie Dumbledore, als er die berühmte Bertie Botts Bohne mit Ohrenschmalzgeschmack erwischt hat. Gerade noch war ich so unheimlich begeistert von Barbara Vine und gleich mein zweiter Roman von ihr ist ein kompletter Fehlgriff.

Auf fast 600 Seiten geht es in Königliche Krankheit um Martin Nanther, der eine Biografie über seinen recht berühmten Urgroßvater Henry Nanther schreiben will. Dieser war Leibarzt von Queen Victoria und Experte für die Bluterkrankheit, scheint aber privat eher unangenehm und gefühlskalt gewesen zu sein. Dieses Thema schreit geradezu nach Rückblenden in die viktorianische Zeit. Zu Erzählungen über Henry aus erster Hand sozusagen. Aber weit gefehlt! Der Roman wird ausschließlich aus der Perspektive Martins erzählt. Der hat im Bezug auf seinen Urgroßvater leider wenig Handfestes vorzuweisen, ergeht sich dafür aber regelmäßig in abstrusen Spekulationen. Auch sein Privatleben war leider Gottes alles andere als unterhaltsam. Mit seinem Titel – Lord Nanther – darf er in der englischen Politik mitmischen. Dieses ererbte Privileg soll aber nun abgeschafft werden, was zu vielen Passagen über das House of Lords, Abstimmungen und mir noch immer unverständlicher englischer Parlamentspolitik führt. Da war Ruth Rendell alias Barbara Vine – die selbst Life Peer und Mitglied des House of Lords ist – vielleicht einfach ZU nah am Thema.

Martins Ehe wird vom unerfüllten Kinderwunsch seiner Frau überschattet, den er eigentlich nicht teilt. Was bei ihm ein gewisses Gefühlschaos auslöst. Auf seine Frau Jude und ihre Gefühle nach mehreren Fehlgeburten wird leider ebenfalls nicht eingegangen.

Mein größtse Problem mit dem Roman war aber, dass man sich schon nach etwa der Hälfte des Romans denken konnte, was das große Geheimnis Henry Nanthers war. Für mich war es recht offensichtlich, für Martin leider nicht. So folgen dann noch gut 300 Seiten mit falschen Spekulationen, Stammbäumen über Stammbäumen und verworrenen Verwandschaftsverhältnissen. Immer wieder unterbrochen von den immer wiederkehrenden Themen Politik und Schwangerschaft.

Mit den Charakteren bin ich nicht richtig warm geworden. Einen wirklich liebenswerten Zug hatten weder Henry noch Martin. Einige Passagen habe ich überflogen oder überblättert, weil vieles sich wiederholt hat und der Roman des öfteren auf der Stelle trat. Letztlich frage ich mich eigentlich nur, wie ich es geschafft habe tatsächlich alles zu lesen und das Buch nicht einfach in die Ecke zu feuern. Wahrscheinlich lag es zum Teil am Schreibstil Vines, dem man anmerkt, dass sie eine erfahrene Autorin ist und der der einzige Pluspunkt diese Buches war. Dann wollte ich wohl einfach noch wissen, ob ich mit meiner Vermutung recht hatte. (Ich hatte.) Das ganze Thema wäre aus der Perspektive von Henrys Töchtern, seiner Frau oder eines anderen Zeitgenossen sicherlich interessant gewesen. Auch weniger Umfang hätte der Geschichte gut getan. So war es nur ein kompletter Reinfall.