Rezension

Ein Roman wie ein schönes Aquarellgemälde

Vom Glück zu dritt -

Vom Glück zu dritt
von Helena Wagenschütz

Bewertet mit 5 Sternen

Völlig unverbrauchte Erzählmotive, ein eigenwilliger, doch eingängiger Schreibstil, ungewöhnliche, aber sehr sympathische Protagonisten - und viel Stoff zu Nachdenken, wo in der eigenen Person sehr unterschiedliche Neigungen bzw. Bedürfnisse in Sachen Partnerschaft liegen mögen ...

>>>Inhalt

Orlando Müller lernt an einem einzigen Tag berufsbedingt zwei Frauen kennen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Limona, freischaffende Künstlerin mit einer innigen Beziehung zu einem Baum in ihrem Garten sowie Sabina, tätig als Maklerin und somit ausgesprochen bodenständig und geschäftstüchtig, wenn auch nicht ohne Träume und Sehnsüchte.

Mit Sabina landet Orlando überraschend schnell zu einer "unverbindlichen Nacht" im Bett. Bei Limona dagegen bedeutet bereits eine gegenseitige zufällige Berührung das Vordringen in einen für die Künstlerin extremen Bereich.

Zu beiden Frauen fühlt der als unscheinbar beschriebene Steuerberater sich hingezogen; jede spricht auf ihre Art einen bestimmten Bereich seiner eigenen vielschichtigen Persönlichkeit an.

Sein Kollege Jörg sowie Hendrik, ein väterlicher Freund, den Orlando ebenfalls über seine Arbeit kennenlernt, übernehmen die sonst typische Rolle der sog. besten Freundin: Sie dienen als Klagemauer, Ratgeber, Spiegel, um sich und sein Tun zu reflektieren.

Orlando manövriert sich im Verlauf der Geschichte in eine schwierige und gefährliche Situation. Am Ende geht es ihm beinahe wie dem von Aristoteles beschriebenen Esel, der zwischen zwei gleichermaßen attraktiven Futterhaufen verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann, welchem er sich zuerst nähern soll ...

>>>Wie das Werk auf mich wirkt

Ich war begeistert! 

Der Roman ist in vielem ganz anders als zahlreiche Liebesromane, die heute (gerne auch als Buchreihen) auf den Markt geworfen werden. In denen gleichen sich teilweise bereits die Protagonisten: Im Gegensatz zum reichen und erfolgreichen Millionär mit Waschbrettbauch handelt es sich bei Orlando Müller, Wagenschütz´ männlicher Hauptfigur, um einen optisch wenig eindrucksvoll wirkenden Angestellten einer Steuerkanzlei mit einem kleinen Kugelbauch, wie die Autorin ihn liebevoll beschreibt. Orlandos wahre Werte liegen eindeutig nicht an der Körperoberfläche.

Die beiden weiblichen Hauptfiguren sind ausgesprochen verschieden. Wie ein naturwissenschaftliches Gymnasium von einer freien Waldorfschule. Limona weiß selbst, dass ihr Verhalten viele pathologische Züge besitzt, da sie Traumata aus ihrer Kindheit und Jugend bekämpft, indem sie sich ständig aus der Realität regelrecht ausgeklinkt, um in einem märchenhaften Reich Trost und Ansprache zu finden, in dem Gespräche mit Feen, Bäumen und auch Toten vollkommen selbstverständlich sind. Hin und wieder wird ihre schizoide Persönlichkeit eingebremst von der realitätsbezogenen Seite ihres Ich; die Träumerin und die Realistin in Limona geraten oft aneinander meiste dann, wenn es gerade absolut nicht passt. Es macht Spaß, einen tiefen Einblick in solch eine weit neben der sog. Norm liegende Persönlichkeit zu bekommen.

Die frisch geschiedene Sabina hat als Maklerin einen Beruf, der geradezu zur Nüchternheit verpflichtet. Dass sie darüber hinaus Yoga betreibt und schließlich sogar ehrenamtlich Yogakurse für Flüchtlingsmädchen gibt, dass sie mit ihrer Liebe zu Orlando ganz entschieden von einem sonst gängigen Beuteschema abweicht, dass sie um wirkliche Freundschaften ringt, beweist, dass ihre Persönlichkeit hinter der realitätsbezogenen Fassade Tiefe besitzt. Die beiden weiblichen Hauptfiguren sind sympathisch und bleiben es im Verlauf der Geschichte auch.

>>>Total neu!

Es ist gar nicht so einfach für mich, die Frage zu beantworten, wann ich zuletzt ein Buch gelesen habe, bei dem nicht schon spätestens ab der Mitte (Oft deutlich früher!) feststand, wie es ausgeht. Gerade bei Liebesromanen kann der Aufbau regelrecht schematisch wirken. Helena Wagenschütz ist es jedoch gelungen, ein Werk zu verfassen, das unter anderem deshalb spannend ist, weil sich das Ende erst recht spät erahnen lässt. So bleibt die Geschichte fesselnd und unterhaltsam. Dass natürlich eine Figur wie die Limona, die sich gelinde gesagt sehr unkonventionell verhält, für immer neue Überraschungen sorgt, hält ebenfalls den Spannungsbogen straff gespannt.

>>>Cover und Titel

Der Schreibstil, in dem Helena Wagenschütz ihre ungewöhnliche Liebesgeschichte erzählt, erinnerte mich phasenweise an ein Gedicht. Dabei liest sich der Text weder verstiegen, noch wirkte die Lektüre anstrengend auf mich. Ausgesprochen treffend und doch mit einer ungewöhnlichen Auswahl an Vokabeln und Metaphern liefert die Story u. a. eindringliche Naturbeschreibungen von besonderer Schönheit.

Das Cover, ein Aquarell, passt meines Erachtens nach ausgezeichnet zum Roman. Aquarelle wirken häufig ein wenig verträumt, unscharf in den Konturen, legen sich nicht eindeutig im Raum fest, weil fließende Übergänge existieren. All diese Attribute spiegeln sehr gut die Inhalte des Buches bzw. die Handlungen der Protagonisten.

Beim Titel bin ich nicht ganz so überzeugt, ob er glücklich gewählt ist. Immerhin nimmt eine vierte Person, Jörg, der Kollege von Orlando und guter Freund von Sabina, eine extrem wichtige Position ein. Rein vom Umfang des Buches und den ihm gewidmeten Passagen ließe sich so gesehen beinahe von einem Glück zu viert sprechen, denn Jörg nimmt ziemlich stark Einfluss auf das Agieren der Hauptfiguren. Hendrik ist fast schon Nummer viereinhalb in dem bunten Reigen. Schön, dass die Autorin so klar zwischen Glück und Liebe unterscheidet!

Es ist ausgesprochen erfrischend, wie unverbraucht die Motive sind, die die Autorin verwendet: keine schicken Sportwagen, keine Treffen im Golfklub, kein Landsitz, keine Segeljacht, sondern allen Ernstes ein Männergesangverein! [Gut, dass ich nach einem interessanten Gespräch mit einem Journalisten, der in einem Chor auf Langeoog singt, inzwischen nachvollziehen kann, wie viel Spaß das bereitet und wie erfüllend es sich anfühlen kann, wenn man gemeinsam singt.]

Es dauert übrigens sehr lange, bis die Autorin den Leser genau darüber aufklärt, wer beispielsweise Friedhelm ist. Hier möchte ich es nicht vorab verraten.

Die Einblicke in das Geschäftsgebaren  bzw. Innenleben der Steuerkanzlei Störtebeker, für die Jörg und Orlando arbeiten, sind interessant und bilden eine unterhaltsame Leinwand, auf der die Autorin ihren Roman zeichnet – auch dieser Ansatz: Gelungen!

>>>Nomen est omen

Die Namen in diesem Roman sind mit Sorgfalt gewählt. Jeder einzelne stellt einen ziemlich deutlichen Hinweis auf die Persönlichkeit dar, die ihn trägt.

Beispiel: Orlando Müller: Vor- und Nachname passen – hier exotisch, dort gutbürgerlich – nicht zusammen, ebenso wenig wie die Charaktereigenschaften und Bedürfnisse des Steuerberaters mit dem Waschbär-Bauch.

Ja, die Benennung der Protagonisten ist ein bisschen plakativ und das ist mit Sicherheit auch absichtlich so gestaltet, aber dafür ist die Handlung des Romans in ihrer Unvorhersehbarkeit ja ausgesprochen spannend, sodass hier ein guter Ausgleich geschaffen wurde.

>>>Keine saftigen Details

Im Zeitalter der One-Night-Stands, von Tinder und anderen Plattformen, in denen vollkommen unverbindliche, rein sexuelle Beziehungen angebahnt werden, stellt dieser Liebesroman eine ungewöhnliche Alternative zu einem Großteil der üblichen "Love and Romance-Werke" dar: Alles bleibt sehr zart, behutsam, wird beinahe zögerlich preisgegeben. Als besäßen die Protagonisten Schamgefühl. Als benötigte ihre körperliche Intimität eine Privatsphäre. Ich habe das als wohltuendes Gegengewicht zu solchen Romanen empfunden, die mit sehr expliziten Sexszenen punkten wollen und deren Verfasser zu glauben scheinen, Detailgenauigkeit bei der Schilderung des Paarungsverhaltens beim Homo sapiens könne Originalität ersetzen.

>>>Das griechische Drama lässt grüßen ...

Phasenweise beschlich mich bei der Lektüre das Gefühl, im Arrangement eines griechischen Dramas gelandet zu sein: Der sympathische Held Orlando verstrickt sich  - trotz bester Absichten - immer mehr in einem Geflecht aus Beziehungen, was unausweichlich in eine Katastrophe zu führen scheint. Es lohnt sich, durch Lesen des Werks herauszufinden, ob das tatsächlich so ist ...

>>>Fazit

Dieses Werk ist für mich ein Beleg dafür, dass das Thema Liebesroman längst noch nicht erschöpfend behandelt wurde – trotz der massenhaften Publikationen in dem Genre.

Von Form und Inhalt her eine ausgesprochen gelungene Arbeit, daher gerne ✪✪✪✪✪.