Rezension

Ein Tag in London...

Mrs. Dalloway -

Mrs. Dalloway
von Virginia Woolf

Bewertet mit 5 Sternen

„Mrs. Dalloway sagte, sie werde die Blumen selbst kaufen.“

Ein Tag in London in den 1920er Jahren: Clarissa Dalloway, 52 Jahre alt, Gattin eines Parlamentsabgeordneten geht ihren Besorgungen nach. Sie wird unerwarteten Besuch bekommen und von ihrem Ehemann einen Strauß Rosen. Septimus Warren Smith, ein Veteran des ersten Weltkrieges, wird an diesem Tag seinem Leben ein Ende setzen. Am Ende des Tages wird eine Party im Hause Dalloway stattfinden.

Die Handlung in Virginia Woolfs Meisterinnenroman ist überschaubar. Hier zählt, was sich in den Köpfen der Menschen abspielt. Wir folgen dem „stream of consciousness“, dem Bewusstseinsstrom, den die englische Schriftstellerin in diesem Roman erstmals und konsequent bravourös durchzieht.

So, als ob die Personen in diesem Buch uns an der Hand nehmen, uns durch London führen, wir den aktuellen Zeitgeist spüren, begleiten wir Haupt- und Nebenfiguren dieses Romans in deren Gedankenwelt. Die Übergänge der Szenen sind fließend, manchmal fast absatzlos.

Alles passiert an einem Tag, immer wieder werden wir an die Zeit gemahnt, wenn Big Ben oder eine andere Glocke zur Stunde schlägt. Erinnerungen an früher – an unbeschwerte Jugend, unausgesprochene und unaussprechliche Begehrlichkeiten - lassen Clarissa über ihr Leben, ihre Ehe, ihre Entscheidungen, Getanes und Versäumtes, nachdenken.

„Was sie liebte, war nur das Leben. -  Deshalb tue ich das, sagte sie laut zum Leben.“

Mrs. Dalloway repräsentiert die gut situierte Upperclass. Auf der anderen Seite des Spiegels findet sich Septimus Warren Smith. Er hat im ersten Weltkrieg Schreckliches erlebt. Was wir heute als Posttraumatisches Belastungssyndrom kennen, findet bei den behandelnden Ärzten kaum Beachtung. Auch er ist gedanklich in der Vergangenheit, sieht im Geiste den im Krieg getöteten Freund und Kameraden.

Vieles an Clarissa und Septimus lässt an Virginia Woolf selbst denken. Einerseits entstammt sie auch einer gehobenen Gesellschaftsschichte, anderseits litt sie selbst immer wieder an Depressionen, Wahnvorstellungen bis hin zum Stimmenhören, fand sich von Ärzten unzureichend behandelt. Doch Virginia Woolf schaut hin auf die Ungerechtigkeiten, im Gegensatz zu ihrer Protagonistin.

„Ihre Rosen lagen ihr ungleich mehr am Herzen als die Armenier.“

Es steckt sehr viel Kritik an der Gesellschaft und zeitgeschichtliche Bezüge in diesem Buch: In den Jahren nach dem ersten Weltkriegt ist die Gesellschaft im Umbruch. Der Zerfall des Empires. Das Entstehen des Commonwealth. Der aufkeimende gewaltlose Widerstand in Indien. Das Erstarken der Frauenrechtsbewegung.

Virginia Woolf hat es sich beim Schreiben dieses Buches nicht leicht gemacht. „Was mich betrifft, so baggere ich meinen Kopf für Mrs. Dalloway aus und bringe leichte Eimer herauf.“, schreibt sie am 16. August 1922 in ihrem Tagebuch. Stück um Stück entsteht ein Werk um Leben und Tod, Erinnern und Vergänglichkeit, seelischen Abgründen, unterdrückter Sexualität und Emotionen.

Ursprünglich sollte dieser Roman „The Hours“ heißen, was auch passender wäre, denn Clarissa Dalloway nur eine von vielen Figuren in diesem Roman ist. Die Symbolik der schlagenden Glocken blieb aber erhalten. Zur Entstehungsgeschichte des Romans und zum Leben der Autorin findet sich im Nachwort von Vea Kaiser noch einiges zu erfahren.

Ich denke, dass Virginia Woolf zurecht behaupten durfte, dies sei ihr gelungenster Roman.

Außerordentlich gut gelungen ist jedenfalls die Ausgabe des Manesse Verlags unter dem Motto „Mehr Klassikerinnen!“. Kleinformatig, ein Cover mit grünem Rosenlaub, in dem sich beim näheren Hinschauen das Gesicht der Autorin verbirgt. Haptisch ansprechende Seiten. Die zahlreichen Fußnoten im Anhang sind eine Einladung, sich näher mit der Zeit und den Umständen des Romans zu befassen.