Rezension

Ein wahrhaftes Lesevergnügen!

Seit ich tot bin, kann ich damit leben -

Seit ich tot bin, kann ich damit leben
von Willi Näf

Bewertet mit 5 Sternen

"Okay. Hör mal. Ich bin Satiriker, und du bist tot. Satiriker nimmt niemand beim Wort, und Tote geben keine Interviews. Das ist meinen Leserinnen und Lesern ja auch klar. Sie können Fakten und Fiktion unterscheiden und lieben die Literatur als Ort lustvoller Schöpfung. Sie verwechseln auch nicht kulturelle Inspiration mit "Aneignung" und verbieten den Deutschen nicht die Pizza, weil sie ursprünglich aus Italien kommt."

 

Lange habe ich überlegt wie ich meine Rezension beginnen soll. Und ich will nicht lange drum herum reden. ADEO hat mit Willi Näf und seinem Buch "Seit ich tot bin, kann ich damit leben" einen Volltreffer gelandet. Ich bin schwer begeistert. Von Anfang bis zum Ende war ich keine einzige Minute gelangweilt und habe den Einstieg mit der Danksagung, die kurze Reflexion mit den zehn Interviewpartnern zu Beginn, die Zeittafel und die vorangehend erzählten, quellentreuen Lebensgeschichten mit ihren fiktiven Interviews sehr genossen. Ein wahrhaftes Lesevergnügen.  

"Das Leben sieht doch gleich ganz anders aus, wenn man es erst einmal hinter sich hat."
Der Autor Willi Näf erzählt abwechslungsreich und unterhaltsam, und trotz schwieriger Themen durchaus humorvoll.

 

Es gab mehrere Interviews, die mich wirklich nachhaltig berührt haben. Zum Beispiel das Kapitel mit Lutz Baumgartner und Dietrich Bonhoeffer. Gerade in der jetzigen politischen Situation hat es noch einmal eine ganz andere Perspektive bekommen. Was haben wir aus unserer Geschichte gelernt? Diese Frage beschäftigt mich aktuell jeden Tag. 
Das Interviel mit Elisabet Trump hat mich besonders in Bezug darauf gefesselt, warum Menschen zu dem werden, der sie (heute) sind. Und mit Mary Ann Graves habe ich viel über eine Tragödie erfahren, die mir bisher völlig unbekannt war. Super spannend und sehr bewegend. Auch wie unterschiedlich hier die Erinnerungen gefärbt sind oder wie weitreichend Entscheidungen sein können.
Auch Sarah Forbes Bonetta kannte ich als Person noch nicht. Ihre Assoziation, dass der englische Regen und der Nebel die Haut auswaschen und sie Angst um ihre eigene hatte, hat mich sehr berührt. Diese kleine Kinderseele ... was hat sie alles erleben müssen. Aber Sallys Entwicklung zeigt, dass trotzdem alles möglich ist. Das macht Mut, finde ich.

Ich könnte noch so viel schreiben, will aber nicht zu viel verraten. Außer, dass es mich ganz besonders fasziniert hat, wie es der Autor bewerkstelligt hat, alle Geschichten miteinander zu verknüpfen. Das ist wirklich hohe Kunst!
Außerdem bewundere ich es, wie es der Autor schafft, Stellung zu beziehen ohne dabei zu werten. Das ist wirklich gerade bei diesen Themen eine Gratwanderung. Er bedient keine Klischees und liefert vergnügliche und inspirierende Wortgefechte. Das Buch wirkt wirklich beim Leser nach. Zumindest bei mir und meinem historisch interessierten Mann.

Fazit:
Mit seinem lockeren, frischen Schreibstil bringt Willi Näf Leben in längst verstorbene Persönlichkeiten. Damit wird es eine hoffentlich breite Leserschaft ansprechen.
Ich würde mich riesig freuen, wenn der Autor "Seit ich tot bin, kann ich damit leben" fortsetzen würde. 

Meine absolute Leseempfehlung.