Rezension

Ein wunderschöner Schreibstil

Die Nachmittagskinder - Helga Beyersdörfer

Die Nachmittagskinder
von Helga Beyersdörfer

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Es ist ein Haus, wie es überall stehen könnte. In ihm wohnen Menschen, wie sie überall wohnen könnten. Doch hier soll ein Blick hineingeworfen werden und etwas über die Menschen und das Haus erzählt werden. Wie sie leben, was sie machen und wie durch eine zunächst geschäftliche Idee eine Hausgemeinschaft entsteht, in die jeder seine kleinen Ängste und Sorgen einbringt. Zusammengeführt von einem störrischen Mädchen auf dem Weg zum Erwachsen werden.

Meine Meinung:
Ich bekam dieses Buch unverhofft, denn sonst hätte ich ihm wohl nie einen zweiten Blick gegönnt. Einfach, weil der Inhalt nicht in die von mir bevorzugten Genres fällt. Nun lag es aber hier und schaute mich mit seinem schlichten und doch so interessanten Cover an und natürlich nahm ich es in die Hand.

Zunächst einmal muss ich über den - für mich - ungewöhnlichen Schreibstil der Autorin sprechen. Sie formuliert lange Sätze mit Wörtern, die mir so nie in den Sinn gekommen wären und macht es damit irgendwie zu etwas Besonderem. Ich möchte mal ein Beispiel geben:

"Am frühen Abend desselben Tages ärgert sich die neue Mieterin der zweiten Etage rechts beim Nachhausekommen über allerlei Krimskrams, der, in Kisten und Körben verpackt, vor der gegenüberliegenden Wohnung steht und das Treppenhaus verschandelt. Das geht ja gut los, denkt die neue Mieterin, man stelle sich nur vor, man bekäme Besuch und der fände einen solchen Saustall vor, sie wird einschreiten müssen, wenn dieses Zeug nicht baldigst entfernt wird."

Ein schöner Stil, oder nicht? Macht es allerdings auch unmöglich, ihn in meinem normalen Tempo zu lesen, man muss schon hier und da mal innehalten und auch das schöne an diesen Sätzen genießen.

Das Buch an sich zeigt etwas, was mich normal wenig interessiert. Den Einblick in die Leben der Nachbarn. Ich unterhalte zwar gerne freundlichen Kontakt mit meinen Nachbarn, allerdings interessiert es mich nicht besonders, wer was macht, wann nach Hause kommt oder welche Probleme er hat - ähnlich wie bei Stars, ich vermeide auch alle Quellen der Klatschpresse, weils mich nicht interessiert. Hier also dient es zur Unterhaltung, also lasse ich mich mal unvoreingenommen darauf ein und werde doch sehr positiv überrascht. Denn was sich ursprünglich als vermeintlicher Hausklatsch anfühlte, präsentiert viele kleine private Geschichten über Freud oder Leid und zeigt, wie einsam Menschen oft sind, und dass es gar nicht viel bedarf, um ihnen ein kleines Lächeln zu schenken.

Zunächst will Jolande - die Hauptperson des Buches - nur ein bisschen Taschengeld verdienen um sich ihren privaten Rückzugsraum im Keller leisten zu können und sich von ihrer Mutter abzunabeln. Daher nimmt sie kleine Tätigkeiten für die Hausbewohner an. Es ergibt sich einfach so, ganz ungeplant. Doch mehr und mehr fühlt sie sich dabei in ihrer Rolle nicht wirklich wohl und denkt über sich und ihr Verhalten nach - und das in mehreren Hinsichten. Ich fand es schön, diese Verhaltensänderungen von Jolande zu  verfolgen und zu sehen, wie sie nach und nach einen Schritt in Richtung Erwachsenenleben tat. Und es war schön zu erleben, wie sich die Hausgemeinschaft nach und nach kennenlernt ... vielleicht ein wenig Nachahmenswert, dort wo es durchführbar ist :)

Fazit:
Für mich ein eher ungewöhnliches Buch mit einem sehr interessanten Schreibstil, dass es tatsächlich schaffte, mich zu begeistern. Wer etwas Abwechslung mag, dem kann ich es nur empfehlen!