Rezension

Eindeutig lesenswert

Den Wind im Haar, das Meer im Blick -

Den Wind im Haar, das Meer im Blick
von Manuela Warda

Bewertet mit 5 Sternen

Ein authentischer, humorvoller Erfahrungsbericht

Das soeben erschienene Buch entdeckte ich zufällig in der Auslage im Buchhandel an der Nordsee. Manuela Warda, Jahrgang 1975, zieht 2005 mit ihrer Tochter Ella, damals 8 Jahre alt, von Westerstede in Niedersachen auf Hallig Hooge mitten ins Wattenmeer, um dort als Halliglehrerin tätig zu sein. Es ist ein mutiger Neuanfang. Sie schildert authentisch das Leben inmitten der Gezeiten, mit all seinen Schönheiten und Besonderheiten und auch Schwierigkeiten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Gehen und Bleiben, den verschiedenen Heimaten, ihren Gefühlen und ihrem Glück und Stolz, dort in der Einsamkeit zu leben, wo andere mal eben kurz Urlaub machen, bis sie wieder 'auf die Fähre hasten in ihr hastiges Festlandleben' (187).

Ich habe nicht unmotiviert zu dem Buch gegriffen. Ich bin in einer ähnlichen Phase, im Aufbruch vom lauten, hektischen, viel zu warmen NRW direkt ans Wattenmeer, um dort eine Lehrerstelle anzutreten. Insofern sind Warda und ich in gewisser Hinsicht soul mates, uns trennt nur eine Stunde Fahrt mit der Fähre ab Büsum und ich kann ihre Schilderungen, ihre Eindrücke und Gefühle absolut, 1 zu 1 nachvollziehen.

Das Buch lässt sich gut lesen. Es ist humorvoll: 'Ein Ficusbaum kämpfte in einer anderen Ecke ums Überleben' (60f), überaus ehrlich und authentisch. Mir gefällt, dass Warda uns an ihren Gedanken über die Art des Unterrichts, ihre Schulstunden auf Hallig Hooge teilhaben lässt. 'Alles, was ich gelernt hatte für meinen Beruf, alles, was guten Unterricht ausmachte und was ich verinnerlicht hatte, schien hier nutzlos und unbrauchbar'(93). Die Autorin hat zwar ihre Vorgaben vom Schulministerium, aber dennoch muss sie das Rad auf gewisse Art neu erfinden, sich auf die Gegebenheiten und Charaktere vor Ort einstellen. Sie unterrichtet zunächst 13, später 10 altersgemischte Schüler unterschiedlicher Jahrgänge und das irgendwann auch zu Corona-Zeiten, digital. Es ist schön zu lesen, wie sie auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht, nebenbei mit der schüchternen Ineke noch Musik macht oder mit Broder täglich für die Abschlussprüfung lernt, um zu verhindern, dass der Junge nun täglich ans Haus gebunden ist, was ihm nicht behagt. Die Fotos nehmen den Leser mit auf die Reise, untermalen das ganze anschaulich. Die Schüler sind begeistert von ihrer neuen Lehrerin 'Die Hallig war ihr Heimathafen, und ich war für die Zeit hier ihr Beiboot, bis sie [Ineke] die Segel setzen und zu neuen Ufern aufbrechen würde'(135). Wie lange der Zugvogel Warda bleibt, ist noch ungewiss, es zählt das Glück im Moment. Ich kann der Autorin nur beipflichten, auch mir ist es viel zu laut, zu warm und zu einsam in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. Hier, wo ich aktuell bin, mit 280 Einwohnern und 3000 Schafen, war ich noch nicht einen Tag einsam, die andere Mentalität, die Natur. Zu empfehlen ist das Buch insbesondere Menschen, die sich für die Nordsee, das Wattenmeer interessieren und die ggf. auch einen Neuanfang wagen, bzw. bereits gewagt haben.