Rezension

Eine Entführung der etwas anderen Art

Henry -

Henry
von Florian Gottschick

Bewertet mit 3 Sternen

Als die zwölfjährige Henriette Angermeier auf der Rückbank des Autos erwacht, erblickt sie am Steuer nicht mehr ihre Mutter Marion, sondern einen fremden Kerl. Der 26-jährige Sven wollte sich den teuren Mercedes in Berlin-Wilmersdorf nur für eine Spritztour schnappen. Mit einem Kind auf der Rückbank hatte er nicht gerechnet. Was nun? Henry möchte sich von ihm nicht aussetzen lassen. So muss Sven das Mädchen mit zu seiner Ex-Freundin Nadja nehmen, bei der er noch immer wohnt…

„Henry“ ist der Debütroman von Florian Gottschick.

Meine Meinung:

Der Roman besteht aus 56 eher kurzen Kapiteln. Das eigentliche Geschehen, das nur wenige Tage umfasst, wird grundsätzlich chronologisch erzählt. Nicht so gerne mochte ich die eingestreuten Vorausdeutungen zu der erwachsenen Henry. Der Roman endet mit einem Epilog, der ebenfalls in einer nicht näher bestimmten Zukunft angesiedelt ist. Der Aufbau funktioniert gut.

Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive. Was die Sprache angeht, bin ich bei diesem Roman hin- und hergerissen. Einerseits mag ich die spritzigen Dialoge und die teils ungewöhnlichen Bilder. Auch die Einschübe zur Statistik finde ich erfrischend. Andererseits sind einige Vergleiche und Metaphern ein wenig schräg und zu sehr drüber. Zudem tritt die Sprache oft in den Hintergrund zugunsten filmreifer Beschreibungen. Die häufigen Fehler, die vom Korrektorat übersehen wurden, stören den Lesefluss.

Henry ist eine sehr sympathische und trotz ihres jungen Alters schon ziemlich altkluge Protagonistin, ein sehr interessanter Charakter mit viel Potenzial. Auch Henrys Familie ist mit psychologischen Details ausgestattet. Das Entführerpaar dagegen kommt recht eindimensional und oft skizzenhaft rüber.

Inhaltlich hat mich die Geschichte leider nicht nur erfreut, sondern auch enttäuscht. Sie hält weder das Versprechen eines Roadtrips noch das einer komplett spannenden Entführung, wobei die Grundidee durchaus reizvoll ist und die ersten Kapitel vielversprechend sind. Thematisch bietet das Buch jedoch ein abwechslungsreiches Spektrum. Gut gelungen sind insbesondere auch die Passagen, in denen es um die Polizeiarbeit und die Psychotherapie geht. Hier hat der Autor seine Hausaufgaben in Bezug auf die Recherche hervorragend erledigt. Dadurch konnte ich sogar Neues lernen. Stark sind außerdem die Bezüge zu Murakami und andere Anklänge. Das angehängte Spaghetti-Rezept ist ebenfalls ein schönes Extra.

An anderen Stellen hat mich der Roman hingegen nicht überzeugt. Der Zufall spielt eine große Rolle, sodass die Realitätsnahe stark strapaziert wird. Zudem hat mich gestört, dass etliche Klischees wie das der engstirnigen und langweiligen Dorfbewohner breitgetreten werden. Geärgert hat mich darüber hinaus, dass das Thema Sex allgegenwärtig ist, auch in Anwesenheit von Henry. Alles in allem ist die Geschichte auf etwas mehr als 300 Seiten zwar unterhaltsam, gleitet aber zu oft aus tiefgründigeren Gewässern wieder ins Seichte ab.

Das Cover hebt sich positiv von der Masse ab und ist sehr ansprechend. Der prägnante Titel ist ebenso eine gute Wahl.

Mein Fazit:

Mit „Henry“ konnte mich Florian Gottschick - trotz vieler guter Ansätze - nur bedingt abholen. Wer sich auf eine kurzweilige und ereignisreiche Geschichte einlassen kann, ohne viel Wert auf Realitätsnähe und Tiefgang zu legen, dürfte mit diesem Roman jedoch glücklich werden.