Rezension

Eine gelogene oder eine wahre Lebensgeschichte?

Das Philosophenschiff -

Das Philosophenschiff
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 4 Sternen

Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller Micha (der mit der Person des Autors identisch sein könnte) von einer 100jährigen Stararchitektin gebeten, deren bislang unbekannt gebliebene Lebensgeschichte in Romanform niederzuschreiben. Einige persönliche Treffen und die Recherchen des Auftragnehmers ergeben ein beachtliches Lebensportrait der Auftraggeberin: Sie wuchs als Kind intellektueller, mit den Revolutionären sympathisierender, jüdischer Eltern im bolschewistischen Russland auf, wo sie Terror und Hungersnöte miterlebte und schließlich mit ihrer Familie auf einem sog. Philosophenschiff auf Lenins Befehl nach Deutschland deportiert wurde. Auf dem Schiff befand sich Lenin persönlich, mit dem sie sich auf der Überfahrt anfreundete.

Der Roman vermittelt so viele historische Kenntnisse aus einer Zeit und einem Land, die nicht unbedingt jedem geläufig, aber äußerst interessant sind. Bei den vielen russischen Personen, die namentlich und ihrer Rolle im Bolschewismus nach – kurz – eingeführt werden, wären Erläuterungen in einem Fußnotentext zum besseren Verständnis hilfreich gewesen. Den Reiz des Romans macht die Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit aus, die für den Leser mehr oder weniger leicht zu unterscheiden ist, z.B. hat es die Philosophenschiffe tatsächlich gegeben, während Lenin nicht durch einen Schubs von einem Schiff zu Tode gekommen ist. Dazu passt es gut und ist für mich das Tüpfelchen auf dem i, dass die Auftraggeberin sich gerade an Micha gewandt hat, weil er als ein Schriftsteller bekannt ist, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.

Anspruchsvolle, zu empfehlende Lektüre.