Rezension

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Eine Geschichte über die kleinen Hoffnungsschimmer

Jakobs Mantel - Eva Weaver

Jakobs Mantel
von Eva Weaver

Bewertet mit 4 Sternen

Dies ist die Geschichte von Mika, der 1938 mit seiner Familie ins Warschauer Ghetto ziehen muss. Als dort sein Großvater Jakob von deutschen Soldaten erschossen wird erbt Mika dessen riesigen Mantel und entdeckt darin so manches langgehütete Geheimnis. Doch neben Briefen und ähnlichem ist es vor allem eine Puppe, die es ihm angetan hat.
Da der Großvater in der überfüllten Wohnung trotz allem Platz für eine kleine Werkstatt hatte, macht sich Mika bald daran, diese auch zu seinem Refugium zu machen. Er beginnt mehr und mehr Puppen zu basteln, um damit kleine Stücke aufzuführen. Diese sollen seiner Mutter und den anderen Bewohnern der Wohnung ein Stück Hoffnung und Fröhlichkeit in das dunkle Dahinfristen im Ghetto bringen.
Auch die Kinder im Krankenhaus des Arztes Janusz Korczak sind begeistert von Mikas Aufführungen.

Doch die Puppen haben es in sich, sie entwickeln zuweilen ein regelrechtes Eigenleben und das nicht unbedingt zu Mikas Bestem.
Als Mika Zeuge einer Schikanierung auf der Straße wird, greift eine Puppe ein. Mika hat Glück im Unglück, denn einer der Soldaten findet die Puppe lustig.
Fortan soll Mika zur Belustigung der Soldaten in deren Unterkünften außerhalb des Ghettos spielen. Einmal wöchentlich holt ihn der Soldat Max am Übergang zur Außenwelt ab und bringt ihn später wieder dahin zurück, ein Brot als Belohnung im Gepäck.

Eine der Puppen ist Mika die liebste, die des Prinzen. Immer wieder appeliert sie an seinen Heldenmut und seine Ritterlichkeit. So wird Mika bald zum Untergrundkämpfer, wenn auch vorerst in eigener Regie…

Dieses Buch ist dann also auch die Geschichte des Prinzen. Der zweite Teil des Buches trägt darum auch den Titel: Die Reise des Prinzen.

Der Prinz gibt weiterhin und auch außerhalb des Ghettos Hoffnung und Rückhalt den Menschen in Not. Jetzt ist es der Soldat Max, der all dies benötigt. Denn er findet sich in einem der Züge wieder, in die er früher die Leute getrieben hat. Seine Reise geht nicht in ein Konzentrationslager, sondern in ein Kriegsgefangenenlager in der Weite der sibirischen Winterlandschaft.
Vom Hunger geplagt, nur in dünnen Stoff gehüllt sind die Gefangenen dort nahezu schutzlos der Kälte ausgesetzt. Für Max gibt es drei Dinge an die er sich hält, ein Foto seiner Familie, einen kleinen Zuckerlöffel, der für ihn die Heimat repräsentiert und nicht zuletzt die Puppe des Prinzen, die ihm Mika überlassen hat.
Das Foto wird bald von den Wachleuten entdeckt und vernichtet, den Löffel kann Max immer gut verstecken und auch die Puppe nimmt ihm keiner ab. Nein, ähnlich wie bei Mika im Ghetto, braucht der Prinz auch hier bald Gesellschaft und die Gefangenen finden in ihm einen halt. Neue Puppen werden gebastelt aus dem Wenigen was man hat und kleine Stücke werden inszeniert.

Schließlich gelingt Max die Flucht mit zwei anderen Gefangenen, doch der Einzige der es bis in die alte Heimat schafft, ist Max. In der Tasche trägt er die Puppe des Prinzen.

Und schließlich ist es auch die Geschichte von Max’ Enkelin, die mit dem Prinzen als zentraler Figur ein Puppentheaterstück inszeniert, das vom Puppenspieler von Warschau handelt – von Mika. Damit schließt sich dann der Kreis.

Ein tolles Debüt von Eva Weaver. Eine rührende Geschichte über kleine Hoffnungsschimmer, die es auch in den dunkelsten Ecken geben kann. Ein Buch das mich erinnert hat an den tollen Film ‘Der Pianist’, in dem es auch die Kunst ist – hier das Theater, dort die Musik -, die Zuflucht bietet und am Ende der Geschichte auch Rettung.
Und das Buch wirft auch Licht auf die Figur des Janusz Korczak, dessen Namen ich zwar schon gehört habe, aber noch nicht genau wusste, wer das ist.
Warum der Verlag den Titel geändert, anstatt nur übersetzt hat, erschließt sich mir nicht direkt, aber sei’s drum. Das Cover haben sie immerhin besser hinbekommen, als der Originalverlag.
Was ich etwas bedenklich finde: Mika beginnt an einer Stelle genau das zu tun, was die Deutschen mit den Juden gemacht haben. Er bezeichnet sie fortan als Ratten, als Ungeziefer also.
Wie seht ihr das, ich zumindest habe da ein um’s andere Mal gestockt beim Lesen.