Rezension

Eine Geschichte voller menschlicher Abgründe, so tief wie der Keller unter dem Schuppen

DER SCHUPPEN - Michael Dissieux

DER SCHUPPEN
von Michael Dissieux

Bewertet mit 4 Sternen

Ein alter, schäbiger Schuppen im Garten birgt seit Generationen ein düsteres Geheimnis. Der zwölfjährige Jackson wollte nichts weiter als sein Fahrrad für eine heimliche Tour aus dem Geräteschuppen seines Vaters holen, als er eine Falltür im Boden entdeckt. Von kindlicher Neugierde gepackt, öffnet er sie und steigt die dürftige Treppe hinab in die Erde. Was er dort findet, verändert den unschuldigen Jungen und dessen Leben nachhaltig und nichts ist fortan mehr so wie es war.

Leseeindruck

"Der Schuppen", betitelt als Horror-Thriller und erschienen im Luzifer-Verlag, besticht durch ein interessantes Cover und einen düsteren Klappentext, der mein Interesse sofort weckte. Bis dato hatte ich noch kein Buch vom deutschen Autor Michael Dissieux gelesen, und das obwohl mich dessen "Graues Land"-Trilogie schon lange neugierig gemacht hatte. Ich bin froh, dass ich nun endlich eines seiner Werke gelesen habe und noch dazu ein so gutes.

Dissieux hat einen besonderen Schreibstil, der sicher nicht jedermanns Sache ist, mir persönlich aber sehr gefällt. Er ist intensiv und eingehend, bildhaft und durchsetzt von Metaphern und Vergleichen, dabei aber durchaus flüssig zu lesen. Die hier verwendete Ich-Perspektive schafft Nähe zum Protagonist Jackson, eine Nähe, die man in diesem Fall beinahe abstoßend findet, denn Jackson ist alles andere als ein Sympathieträger.
 
Wir lernen Jackson als etwa vierzigjährigen Mann kennen, der in einem trostlosen und kaputten Leben feststeckt. Nach einer Affäre ist seine Ehe mit Megan zerstört und von Vorhaltungen und Kühle durchsetzt. Der Bezug zu seinem zwölfjährigen Sohn David ist verloren gegangen und Jackson versucht sich einzureden, dass es eines Tages vielleicht wieder besser werden könnte, sein Leben wieder in die richtige Spur kommt.

"Genauso wünsche ich mir mein Leben. Ein ewiges Meer, das ruhig und würdevoll gegen die Felsen brandet." (Jackson, Kapitel 7)

In Erinnerungen und Rückblicken erfahren wir von Jacksons Kindheit, seinem eigenartigen Verhältnis zum Vater, dem Dasein als Einzelgänger in der Schule und schließlich auch von dem Tag, der sein Leben für immer verändern sollte: Der Tag, an dem er in den Schuppen seines Vaters geht.

"So laufen meine Tage. Ein bizarres Theaterstück, das keinem von uns gefällt. Doch um aufzustehen und die Vorstellung zu verlassen, fehlt uns allen die Kraft. Wir sind dazu verdammt zuzusehen, wie sich unser Leben in Richtung des letzten Aktes bewegt. Gedemütigt, hoffnungslos und kalt." (Jackson, Kapitel 1)

Die Figuren agieren glaubhaft, wenn auch nicht immer in letzter Konsequenz nachvollziehbar. Es gibt niemanden, mit dem man solidarisiert, für den man Sympathie empfindet, womit ich mich normalerweise etwas schwertue. Doch in diesem Fall passt es zur Geschichte und dürfte nicht anders sein. Das Leben Jacksons und auch das Leben vieler anderer Charaktere in diesem Buch ist grau, trist und hoffnungslos. Als Leser nimmt man Anteil daran, aber nur bis zu einem gewissen Grad - mehr geht einfach nicht. Gekonnt überspitzt Dissieux seine Beschreibungen hier und da, treibt damit den Leser an die Grenzen des Ertragbaren und schickt ihn selbst in die Dunkelheit unter dem Schuppen. Zu keiner Zeit versucht er, die Handlungen seiner Figuren zu rechtfertigen oder zu erklären, beschreibt aber die Umstände, die zu den Entwicklungen führten, gekonnt und eingehend. Das Urteil fällt man als Leser am Ende der Geschichte, die erst vollständig erzählt ihre komplette Wirkung entfalten kann.

"Der Schuppen" hält die volle Bandbreite an Gefühlen für den Leser bereit. Es gibt Passagen und Momente in diesem Buch, die lassen einen erschaudern, angeekelt innehalten, ungläubig den Kopf schütteln und dann wieder atemlos durch die Seiten rasen. Ich musste mich oft zwingen, langsamer zu lesen, um jedes Wort in seiner Gänze aufnehmen zu können. Dissieux versetzt dem Leser gekonnt Magenschwinger, rüttelt ihn auf und lässt ihn dann ungläubig und völlig aus der Fassung geraten zurück. Chapeau!

Der Spannungsbogen ist rund und zu keiner Zeit gibt es Längen, wenn man von der für mich an einer Stelle empfundenen Übersättigung an Trostlosigkeit mal absieht. Was mir ebenfalls gut gefallen hat, sind dezente Verbindungen zu Werken anderer Autoren oder Songs. kaum wahrnehmbar, für Kenner aber eine nette Beigabe.

Alles in allem konnte mich Michael Dissieux mit diesem Thriller, der sehr psychologisch aber auch brutal ist, komplett abholen. Seine Sprache ist besonders, meinen Nerv hat er getroffen und "Der Schuppen" besitzt in seiner Wirkung einen langen Nachhall.

Fazit

Wer einen Thriller lesen möchte, der unter die Haut geht; der menschliche Abgründe und sadistische Fantasien offenlegt; der mit sexueller und psychologischer Gewalt gespickt ist und zu guter Letzt nicht mit Wahnsinn geizt, der sollte dringend den Schuppen hinter der Dornenhecke betreten und durch die Falltür nach unten steigen.

Kommentare

Nafreyu kommentierte am 01. November 2015 um 21:23

Tolle Rezi. Das Buch werde ich definitiv lesen!

yvy kommentierte am 01. November 2015 um 22:20

Schau dir die Leseprobe an und finde heraus, ob dir der Schreibstil zusagt, denn der ist wie beschrieben ungewöhnlich. Wenn es gefällt, dann wünsche ich dir viel "Lesevergnügen". ;)

Nafreyu kommentierte am 03. November 2015 um 10:52

Leseprobe: Check :D werde ich die Tage mal lesen.