Rezension

Eine Mischung aus Seghers "Transit" und Greenes "Der dritte Mann"

Sixty to go - Ruth Landshoff-Yorck

Sixty to go
von Ruth Landshoff-Yorck

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der Roman spielt 1941 an der Riviera des Vichy-Regimes. „Sixty to Go“ sind die 60 Flüchtlinge, die der plötzlich aufgetauchte Amerikaner Bill versprochen hat, über die französisch-spanische Grenze zu bringen. Damit wird er Teil der Fluchthelfer-Clique um die Comtesse de Roseraye, genannt „Darling“, und den taffen Österreicher Jo Tarner, die in Nizza/Marseille der Gestapo und der kollaborierenden französischen Geheimpolizei ein Schnippchen schlagen.

Mit Bills Auftauchen - er ist auf der Flucht - verstärkt sich die Bande einerseits, andererseits gerät die Sache mit seinen Eskapaden außer Kontrolle. Der sinistere Tausendsassa ist kaum zu fassen: Was will er? Woher kommt er? Wohin geht er? Was kann er? ist er wirklich Trapezkünstler? Mit Bill ist Landshoff-Yorck eine ähnlich aufreizende Figur gelungen wie Graham Greene mit Harry Lime in „Der dritte Mann“. Die Stimmung an der Riviera fühlt sich an wie eine Mischung aus eben dem „dritten Mann“ und Anna Seghers „Transit“. Die Verhaftung Frantiseks, die Auftritte vorgeblicher Verbündeter aufseiten der Geheimpolizei, die Konfrontation mit goldbetressten Nazischergen erzeugen eine Spannung, die nur Bill mit seinen tollkühnen, unbekümmerten Aktione durchbrechen kann.

Was den Roman aber besonders lesenswert macht, ist sein Erscheinungsjahr: 1944. Hier wird eine Geschichte unmittelbar aus dem zeitgenössischen Kontext heraus erzählt, die noch nichts von den Vernichtungslagern weiß und die das Kriegsende noch nicht kennt. „Sixty to Go“ beschert ein Leseerlebnis wie Irène Némirovskys „Suite Française“, die ebenfalls das Ende noch nicht kannte.

Als den Handlungsfluss etwas störend empfand ich den Erzählstil, der etwas Episodenhaftes, Aufgereihtes hat. Dennoch: lesen!