Rezension

Eine Sektion im Spiel mit Licht und Schatten

Absturz -

Absturz
von Tom Kristensen

Bewertet mit 4 Sternen

Der dänische Autor Tom Kristensen schrieb sich 1930 mit diesem Roman in sein Schriftstellerleben zurück. Anfang der 1920er Jahre machte er Karriere mit seinen Gedichten und Romanen, ließ sich als Literaturkritiker bei einer liberalen Zeitung anheuern, verlor dann aber nach exzessiven Jahren voller Alkohl den Sinn seines Schaffens aus den Augen und zog sich zurück. In "Absturz" arbeitete er diese Zeit auf und lässt sein Alter Ego Ole Jastrau alle Stationen seines Niedergangs in den Roaring Twenties durchlaufen.

Ole Jastrau ist Literaturkritiker und wohnt mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in der Kopenhagener Istedgade. Nach seiner wenig wohlwollenden Besprechung eines Buches des berühmten H.C. Stefani, kommt es in den Redaktionsräumen zur ersten Ablehnung für den Abdruck in der Zeitung. Jastrau ist irritiert und hinterfragt die Gründe. Zeitgleich taucht ein alter Bekannter Sander aus "rebellischen" Zeiten mit einem Begleiter bei ihm zuhause auf. Sie suchen für eine Nacht Unterschlupf, denn sie müssen sich vor der Polizei verstecken. Der nächste Tag mit den Wahlen, sollen ihnen eine Amnestie verschaffen. Der Begleiter Stefan Steffensen beunruhigt Jastraus Frau. Sie verlässt zusammen mit dem Kind für diese Nacht die Wohnung, um bei ihren Eltern zu schlafen.

Ein erstes Saufgelage in Jastraus Wohnung beginnt. Während Sander aus dem Dunstkreis Jastraus verschwindet, taucht Steffensen immer öfter auf und die Abwärtsspirale aus alkoholgetränkten Kneipentouren und alternativen Lebensentwürfen nimmt zu. Jastraus Frau verlässt ihn schließlich, nachdem sie erfahren hat, dass ihr Ehemann fremdgegangen ist. Es ist die Zeit der freien Liebe, der roaring Twenties, aber auch die Zeit des Kampfes ums wirtschaftliche Überleben und der Syphilis, um die sich unser Protagonist alsbald Sorgen machen muss. Steffensens oft erzählte Anekdote vom geschändeten Hausmädchen durch Vater und Sohn, hat einen realeren Hintergrund, als es Jastrau lieb sein kann.

Jastraus Abwärtsspirale lässt sich auch mit vielen wohlmeinenden Helfern kaum aufhalten. Hat es doch den Anschein, dass Jastrau den Grund des Sees, in den er träumenderweise hineingefallen ist, geradezu sucht. Die Zeit nach dem Großen Krieg und der politischen Neuordnung lassen auch ihn an alle bisherigen Werte zweifeln. Der Alkohol hat Jastrau fest im Griff, seinen Job hat er gekündigt, seine Kleidung zeugt vom Untergang und doch denkt er, dass er ein Comeback jederzeit einleiten könnte.

Das Ende ist offen, doch wissen wir von seinem Schöpfer, dass er den Weg zurück gesucht hat und eben diesen Roman geschrieben hat. Für die Kopenhagener war dieses Buch 1930 allerdings eine einzige Anklage und Jastraus Mitprotagonisten aus der Literatur- und Journalistenszene realen Personen unverkennbar zuzuordnen. Dieses Wissen fehlt dem heutigen (deutschen) Leser, doch kann man sich durchaus am Flair dieser schillernden Zeit mit seinen düsteren Schattenseiten ergötzen, zumal es eine sehr lesbare Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg ist und ein hilfreiches Nachwort von Sebastian Guggolz, dem Verleger, gibt.

Das Cover offenbart den Absturz mit scharfen Ecken und Kanten in Rot und Schwarz und lässt die Buchstaben purzeln. Doch im Roman selbst, erinnern die zahlreichen Variationen aus glitzerndem Licht, bedrohlichen Schatten, flackernden Neonreklamen, abgedunkelten Kneipen- und Wohnräumen und schließlich das funkensprühende Feuer zum Schluss, an die Fülle der Möglichkeiten, vom eingeschlagenen Weg abzukehren. Das zweite Leitmotiv ist der Jazz, die Musik, die Jastrau hört und mag und ihm seinen Spitznamen verleiht, aber eben auch ein musikalisches Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit ist.

Als lesende Zeugin dieses detaillierten Niedergangs, wurde ich teilweise auf eine harte Probe gestellt. Die alkoholgeschwängerten Ansichten über das Leben, die Arbeit und die Rolle der Frauen ließen meinen Widerspruch keimen, doch keinesfalls möchte es bereuen diesen Klassiker des dänischen Joyce, Döblin, oder Proust gelesen zu haben, denn schließlich wachsen aus starken Wurzeln imposante Gewächse.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 01. Oktober 2023 um 19:27

Diese Rezension muss sich nicht verstecken!