Rezension

Einfach, derb, aber mit Nachhall

Ich, Antoine -

Ich, Antoine
von Julie Estève

Bewertet mit 4 Sternen

In der Kürze liegt die Würze und in der Sprache liegt die Macht. Es ist die sehr einfache und derbe Sprache, die dieses Buch auszeichnet. Es ist nämlich der Trottel Antoine, der mit seiner infantilen Sichtweise von den Ereignissen aus dem kleinen korsischen Dorf in den 1980er Jahren berichtet. Die 16jährige Florence liegt tot im Wald und Antoine wird des Mordes beschuldigt und geht für 15 Jahre ins Gefängnis. Nach der Haftentlassung kehrt Antoine ins Dorf zurück, weil es seine Heimat ist. Aber die Menschen dort haben ihm nicht verziehen. Antoine braucht sie nicht. Er verbringt seine Tage mit einem kaputten roten Plastikstuhl, dem er die Orte zeigt, an denen sein Leben stattgefunden hat und seine Unterhaltungen führt er mit Magic, einem Diktiergerät.

Nach und nach hören wir also von Antoine, wie er aufgewachsen ist, seine Mutter aus Versehen umgebracht hat, sein Vater ihm die Schuld für alle Missgeschicke gibt, wie ihn die Kinder aus dem Dorf als Glücksbringer erwählen, aber gleichzeitig seine Einfalt für ihre grausamen Spielchen ausnutzen und wie er schließlich eines Tages, er hatte es vorausgesehen, für den Tod des Mädchens verantwortlich gemacht wird.

Antoine erzählt kreuz und quer, vor und zurück und nur allmählich wird klar, was sich zugetragen hat. Antoine hat alles mitgekriegt, hat alles gewusst, hat alles gemacht, was die Leute von ihm verlangt haben und so ist er eben auch ins Gefängnis gegangen, weil es das Gesetz so wollte.

Wer hat sich schuldig gemacht, nicht nur am Tod des Teenagers, sondern auch an Antoine? Denn Antoine ist tot, das lesen wir gleich mit dem ersten Satz im Buch.

Auf 150 Seiten kann man sich dem Leben Antoines nicht entziehen, hält ihn für schuldig, hält ihn für ein Opfer, vermutet Wut und Rache, um dann doch voller Mitleid die unausgesprochene Warheit hinausbrüllen zu wollen. Der Dorftrottel als Chronist der Ereignisse, mit der Wucht der ungeschönten Sprache, faszinierend, abstoßend, konzentriert. Eine vertraute Situation in unvertrauter Prosa, vielleicht unbedeutend, dafür aber mit Nachhall.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Mai 2021 um 20:10

Puh, hast du eindrücklich rübergebracht. Da war mir aber Kalmann viel viel lieber.

Emswashed kommentierte am 22. Mai 2021 um 20:28

Tja, den Kalmann hab ich leider verpasst. Da fehlt mir wohl die Perspektive.