Ende des Schweigens
Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland zunächst mit der Entnazifizierung beschäftigt und mit seiner Schuld am Völkermord an den Juden. Deutschland war das Land der Täter, und so wurde den Opfern des Krieges, den Ausgebombten, den Vertriebenen und den Angehörigen gefallener Soldaten ihr Status als Opfer praktisch abgesprochen, denn sie gehörten schließlich zum Land der Täter. Pauschalisierend könnte man es so formulieren.
Verzweiflung war nicht gestattet, Klagen erst recht nicht, und der Trauer gab man nur in den eigenen vier Wänden – so sie noch standen – nach.
Erst 50 Jahre nach dem Unrecht, dem Elend und der Angst, traut man sich, auch von der Traumatisierung der deutschen Zivilbevölkerung zu sprechen und diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die während des Krieges Kinder waren. Diese Kinder, deren Leid so lange „vergessen“ wurde, mussten 50, 60 Jahre alt werden, ehe sie sich erlauben zu reden und ehe ihnen jemand zuhört.
Traumata, die durch existenzielle Angst und tagtägliche Bedrohung des Lebens entstehen, werden heute erforscht, behandelt und ernst genommen. Doch in den ersten Nachkriegsjahren war der Umgang mit Kindern und deren Erziehung noch geprägt von den pädagogischen Idealen der Nazizeit, Zucht, Gehorsam, Unterordnung und Strenge. Zudem brauchten die Eltern – oft eine alleinerziehende Mutter – oft selbst traumatisiert -, ihre ganze Kraft, um das Überleben, Essen und Wohnung zu organisieren.
Als Erwachsene haben diese Kinder über das Erlebte nicht sprechen können. Man kennt in den nachfolgenden Generationen zwar die Anekdoten, die Mutter und Vater, Oma und Opa über den Krieg erzählen, aber vor dem ertragenen Leid, der Angst und Ohnmacht blieb man stumm.
Das, was heraus wollte und nicht durfte, suchte sich einen anderen Weg, zumeist durch körperliche oder psychische Beschwerden, deren Ursache man nicht sofort erkannte, oder durch bestimmte, erlernte Schutz- und Verhaltensmuster.
Sabine Bode hat Überlebende besucht, mit ihnen gesprochen; für einige war es das erste Mal, dass sie ihre Kindheit oder Jugendzeit thematisierten. Auch die nachfolgende Generation kommt zu Wort, die mit Verschweigen und Verstummen in nächster Nähe auswuchs und sich kein konkretes Bild über die Vergangenheit der Eltern und Großeltern machen konnte.
Bode sagt sehr deutlich, dass der Schmerz der vergessenen Generation und der Holocaustüberlebenden nicht gegeneinander aufgerechnet werden darf. Und dass eine starre Trennung in Täter und Opfer eine wirkliche Annäherung bremst.
Kinder sind immer und unter allen Umständen unschuldig an kriegerischen Geschehen, und wenn sie zu Tätern werden, so werden sie von Erwachsenen dazu gemacht (Kindersoldaten).
Auch wenn die Generation der deutschen Kriegskinder stirbt: Das, was sie erfahren haben, bleibt. Es bleibt als Wunde in der Familie und der Gesellschaft.