Rezension

Ermittler aus Ost und West - und die verschwundene Fallakte

Das Schweigen des Wassers -

Das Schweigen des Wassers
von Susanne Tägder

Bewertet mit 5 Sternen

Hauptkommissar Arno Groth wird Anfang der 90er als Aufbauhelfer Ost ausgerechnet in seine alte Heimat geschickt. Von hier aus war er 1960 in den Westen gegangen. U. a. als Dozent für Vernehmungstaktik in der Polizeiausbildung in Pasewalk ist der Mann keine schlechte Wahl. Allerdings fragt sich nicht nur sein erfahrener  Kollege Gerstacker, was Groth in Hamburg vergeigt haben könnte. Eine West-Behörde würde wohl kaum einen Ermittler mit makelloser Personalakte nach Ostdeutschland abordnen.

Als in Groths Revier in einem kleinen See mit Bootssteg ein Toter gefunden wird, stocken die Ermittlungen schon bald. Der Tote Siegmar Eck, ehemals Bandmusiker und DJ,  war 1980 Hauptverdächtiger im Mordfall Jutta Timm, wurde vor Gericht frei gesprochen – und die Ermittlungen wurden sofort eingestellt. Wenn das Opfer ausgerechnet Tochter eines Volkspolizisten war, fragt man sich, wie die Fallakte angeblich verschwunden sein kann – und wer davon bis in die Gegenwart profitiert. Dass der wahre Täter unbehelligt bleibt, behagt Groth allein deshalb nicht, weil Eck kurz vor seinem Tod ausdrücklich Kontakt zum „Neuen“ aus dem Westen suchte, anstatt sich an die Polizeidienststelle zu wenden.

In der Ausflugsgaststätte nahe des Fundorts hat vor kurzem Regine neu als Kellnerin angefangen. Chef Eberhard  und ihre Kollegin fragen sich, warum eine Frau ihren Job im Berliner Kempinski aufgibt, um gerade hier zu arbeiten. Dass auch Regine in der Region aufgewachsen ist und ihre demente Großmutter kurz zuvor  ins Pflegeheim umziehen musste, kann doch wohl nicht allein Grund dafür sein?

Der in die Provinz zurückverpflanzte Groth muss sich inzwischen eingestehen, dass ihm mit Gerstacker ein Kollege zur Seite steht, der nicht weniger berufserfahren ist als Groth selbst  und  weiß, wie Provinz funktioniert. Nach fast 30 Jahren im Westen muss Groth erst wieder lernen, wann er sich besser aus einer Sache raushält. Unbewusst beherrscht er den Sound der Provinz längst; denn er ist von Eltern erzogen, die nacheinander in zwei Diktaturen lebten. Wo Tratsch schneller sein Ziel erreicht als man selbst, wählt man seine Worte besser überlegt. In Bezug auf die fehlende Fallakte Timm sehen sich Groth und Gerstacker einem Kartell des Schweigens gegenüber. Aber nicht nur sie wollen sich nicht damit abfinden, dass ein Mord ungesühnt bleibt.  Regine jedenfalls hat einen Plan – und beherrscht die Kunst, nicht sofort auszusprechen was ihr in den Sinn kommt.

Der Fall „Jutta Timm“ lehnt sich an einen ungesühnten Mordfall in der DDR von 1979 an; Susanne Tägder fiktionalisiert nach eigener Aussage die Ereignisse und siedelt sie an einen fiktiven Ort um. Mit Arno Groth schickt sie einen Ermittler ins Rennen, der (wie die Generation der Eltern der Autorin) Anfang der 60er eher zufällig in den Westen gelangte. Eltern wie Kinder machten sich jedoch nicht bewusst, wie stark die staatlich verordnete Verdrängung des Nationalsozialismus sie bis heute prägt.

Fazit

„Das Schweigen des Wassers“  ist mit Plot, Handlungsbogen, Figuren, Ermittlungsarbeit wie auch sprachlich ein in jeder Hinsicht hervorragender Krimi. Darüber hinaus hat Susanne Tägder treffend die Kultur porträtiert, die die Generation ihrer (und meiner) Eltern prägte und von deren Spuren sich vermutlich nicht nur Groth und Gerstacker bis heute schwer lösen können.