Rezension

Erpenbeck zeigt uns die Gesichter hinter der „Flüchlingskrise“

Gehen, ging, gegangen
von Jenny Erpenbeck

Bewertet mit 5 Sternen

Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
Verlag: Albrecht Knaus Verlag (31. August 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3813503708
Preis: 19,99 €
auch erhältlich als E-Book und als Hörbuch

Erpenbeck zeigt uns die Gesichter hinter der „Flüchlingskrise“

Inhalt:
Richard, frisch emeritierter Professor für Alte Sprachen, hat plötzlich viel Zeit. Zufällig sieht er die afrikanischen Flüchtlinge, die auf dem Berliner Oranienplatz campieren. Sie wecken seine Neugier. Anfangs noch etwas unsicher und ganz sachte wagt er einen Schritt nach dem anderen auf sie zu, lernt die einzelnen Personen und ihre Geschichte kennen, bis sein Leben schließlich eng mit dem der Flüchtlinge verzahnt ist.

Meine Meinung:
Sprachlich ist der Roman vielleicht nicht gerade ein Highlight, ist die Sprache doch eher einfach gehalten mit vielen kurzen Sätzen. Allerdings spiegelt das die einfachen Gedanken und Gespräche wider, die beschrieben werden. Leider verzichtet die Autorin auch nicht auf diese neumodische Sitte, bei der wörtlichen Rede die Anführungszeichen wegzulassen.

Und doch hat mich Jenny Erpenbeck mit ihrem Roman sehr beeindruckt, gibt sie doch den Menschen, die wir im Allgemeinen nur als die „Flüchtlingskrise“ wahrnehmen, ein Gesicht, eine Vergangenheit, eine Persönlichkeit. Sie pickt einzelne Menschen heraus und bringt sie uns näher. Dabei verarbeitet sie die Geschichten, die sie in zahlreichen Interviews erfahren hat. So wirkt der Roman sehr authentisch.

Richard ist dabei ein einfacher Mensch. Über Flüchtlinge hat er sich vorher noch nie viele Gedanken gemacht – wie wohl die meisten von uns. Doch als er die einzelnen Menschen in natura vor sich hat, ändert sich sein Blickwinkel ganz automatisch. Schnell wird ihm klar, dass diesen Menschen Schlimmes widerfahren ist und vor allem, dass man ihnen helfen muss. Und so geht Richard weiter seine kleinen Schritte. Er begleitet den Einen zum Rechtsanwalt, geht mit dem Nächsten zum Deutschunterricht, hört sich ihre Sorgen und Probleme an. Es ist nicht genug, was er als Einzelner bewirken kann, und doch so viel. Einfach nur, weil er menschlich handelt. Denn weder können die Flüchtlinge etwas dafür, dass in ihrer Heimat Krieg herrscht noch dass es keine Arbeit oder einfach zu wenig Nahrung für alle gibt. Sie haben einfach nur Pech, dass sie im falschen Land geboren sind.

[ … ] ebenso wüsste keiner von ihnen [Richards Freunde] eine Antwort auf die Frage, wessen Verdienst es in Wahrheit war, dass selbst die Ärmeren aus ihrem Freundeskreis einen Geschirrspüler in ihren Küchen hatten, Weinflaschen im Regal und doppelt verglaste Fenster. Wenn es aber nicht ihr eigenes Verdienst war, dass es ihnen so gut ging, war es andererseits auch nicht die Schuld der Flüchtlinge, dass es denen so schlecht ging. (S. 120)

Und noch etwas sollte man bedenken:
Es ist noch gar nicht so lange her, denkt Richard, da war die Geschichte der Auswanderung und der Suche nach Glück eine deutsche Geschichte. (S. 222)

Fazit:
„Gehen, ging, gegangen“ ist ein Plädoyer für Menschlichkeit, eingebettet in einen ernsten, aber doch unterhaltsamen Roman. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

★★★★★