Rezension

Erreicht nicht die Qualität Schulmanns ersten Romans

Verbrenn all meine Briefe -

Verbrenn all meine Briefe
von Alex Schulman

Bewertet mit 2.5 Sternen

Inhaltlich relativ banal

Ich habe mir den zweiten Roman 'Verbrenn all meine Briefe' gekauft, weil mir der erste von Alex Schulmann 'Die Überlebenden' gut gefiel. Auch die Kurz-Rezensionen auf dem Einband lockten 'Schulmann schreibt, als ob sein Leben davon abhinge'(Expressen). Zudem interessiere ich mich für gesellschaftliche Themen und hier insbesondere für Beziehungen, dysfunktionale Familie & Co.

Der Roman startet mit einem Wutausbruch des Protagonisten (autobiographisch) Alex. Frau und Tochter haben Angst: ' Ich verstand das nicht. Wann war das so geworden? (…) Was an mir machte ihnen Angst? (…) Ich wusste, dass ich voller Konflikte steckte' (9). Schön formuliert: 'Bis zur Katastrophe war es oft nur ein kurzer Weg (...)'(ebenda.). Die Authentizität, die autobiographischen Züge sind leicht erkennbar, da gewisse Fakten, Passagen aus Roman I wiederholt werden, z.B. die Antenne des Protagonisten (Benjamin respektive Alex) für nahende Konflikte und das Totschweigen von Konflikten. Alex fängt an, in seiner Familiengeschichte zu graben, minuziös zu recherchieren, ab dem Jahr 1932. Er will der 'weitervererbten Wut' auf die Spur kommen, um sie und sich selbst besser zu verstehen und dem Gefühl ggf. Herr zu werden. In seiner Familie konnten nur Todesfälle die Konflikte beenden. Der Roman oszilliert zwischen der Gegenwart, 1988, Alex ist 12 Jahre alt und der Vergangenheit, dem Jahr 1932. Sein Großvater Sven Stolpe 'eine unberechenbare Urgewalt der Wut' (38), der auf 'unterschiedliche Weise das Leben seiner Kinder zerstörte, das Gift wirkte über Generationen fort (40)' ist mit Großmutter Karin verheiratet, zu den beiden gesellt sich der Rivale Olof Lagercrantz. Alex liest Großvater Svens 94 geschriebene Bücher, erschienen zwischen 1929 und 1990, seine Memoiren auf der Suche nach dem 'Schlüssel zu dessen Hass'. Sven Stolpes literarisches Werk ist eine 'offene, pulsierende Wunde', das ständig um ein und dasselbe Thema rankt. Um nicht zu spoilern, lese jeder/r selbst.

Familie ist ein sehr interessantes Untersuchungsobjekt, v.a. für den betroffenen Recherchierenden selbst, das weiß ich aus eigener Erfahrung, habe ich selbst jahrelang Ahnenforschung betrieben und zur Epigenetik recherchiert und geschrieben. 'Wo komme ich her' und 'Warum bin ich, wie ich bin' gehört zu den großen philosophischen Fragen der Menschheit.

Ich sage, wie es ist. Der erste Roman hat mir bei weitem besser gefallen, ich war sofort in medias res und gefangen, emotional, thematisch und überhaupt. 'Verbrenn all meine Briefe' legt mir den Fokus viel zu sehr auf die Vergangenheit, auf eine Liebesgeschichte ohne Happy End der 1930iger Jahre, ich hätte gern mehr vom Hier und Jetzt gewusst, der Gegenwart. Für das, was Alex suchte, hätte der Protagonist meines Erachtens gar nicht so intensiv recherchieren müssen. Gefühle und Konfliktstrategien waren bereits in der Gegenwart quantitativ stark beobachtbar, sie werden erlernt, abgekupfert, weniger vererbt. Dispositionen zu einem gewissen Temperament hingegen schon. Eheliche Untreue passiert millionenfach, Dreiecksgeschichten und Mordgelüste gegenüber dem Kontrahenten auch, insofern im Westen nichts Neues. Das einmal gesagt, erschien mir Roman 2 im Vergleich zum ersten relativ banal, ich habe mich auch über weite Strecken gelangweilt. Vielleicht liegt es auch an mir, die sich jahrelang mit diesem Thema, der Epigenetik, dem emotionalen Rucksack usw. beschäftigt hat. Vielleicht waren die Erwartungen nach Roman 1 zu hoch. 23 Euro (46 Deutsche Mark!) für diese 300 Seiten finde ich auch bei weitem des Guten zu viel. Da der Roman bereits 2018 in Schweden erschien, hätte der DTV vier Jahre später gleich ein Taschenbuch herausbringen können. 3 Sterne gibt es von mir für Alex Schulmanns Sprache, oft metaphorisch (in diesem Fall tendenziös antiquiert), seinem Stil, ggf. Nachschusslorbereen auf Roman 1, und für das Ziel, schonungslos autobiographisch zu schreiben und sich auf Spurensuche zu begeben. Ob ich diesen Roman empfehlen würde, weiß ich nach dem oben Gesagten also nicht so recht.