Rezension

Etwas sperrig, aber dennoch höchst bemerkenswert

Die sieben Monde des Maali Almeida -

Die sieben Monde des Maali Almeida
von Shehan Karunatilaka

Bewertet mit 5 Sternen

Von funkensprühendem magischen Realismus hab ich nix bemerkt, wahscheinlich war ich zu beschäftigt mich als Geistwesen an einen Omnibus zu kleben. Ein Buch für Klimakleber, mein ich.

Als der einheimische Kriegsfotograf, operierend auf eigene Rechnung, Maali Almeida, unversehens in die Ewigen Jagdgründe abberufen wird, denn er wurde ermordet, muss er sich erst einmal zurechtfinden und orientieren, das ist nicht einfach, das ceylonesische Jenseits ist unübersichtlich und schwer bevölkert. Mali hat sieben Monde, das sind sieben Tage Zeit, um sich zu entscheiden, ob er ins Licht geht oder im Dazwischen verharren wird. Bevor er sich entscheidet, hat er noch einiges zu erledigen. Er will wissen, was passiert ist und die Leserschaft auch. Dazu muss Maali ein wenig „reisen“. Mobilität, erlernt Maali, hat man, wenn man gerufen wird und dann springt man in den Wind, was einiges Geschick erfordert. Oft schläft oder ruht man während der Reisepausen in den säuselnden Blättern der Bäume, sehr malerisch. Es gibt viele Geistwesen, wovon jedes seine eigenen Ziele und seine eigene Agenda hat. Das Böse manifestiert sich in Mahakali und ihren Helfern. 

 Der Kommentar: 
Der Roman zeigt die Zustände, die zwischen 1983 und 2009 in Sir Lanka herrschen. Zwischen 1983 und 2009 ist Bürgerkrieg. Menschen verschwinden spurlos. Der idyllische Beira Lake, mitten in Colombo gelegen, ein wunderschöner Blickfang aus jedem Hochhaus, stinkt: dort werden nämlich massenhaft Leichen entsorgt. Die Army ist korrupt, die Regierung ist korrupt, die Polizei ist korrupt, Ausgangssperren sorgen dafür, dass die Regierung die von ihr inszenierten Massaker vor der Öffentlichkeit leichter verbergen kann beziehungsweise ihre Spuren unbehelligt beseitigen kann.
„Im Süden, im Norden und auch hier, im wilden, wilden Westen nahm die Regierung die Leute von den Bürgersteigen, die Autos von den Straßen und die Freiheiten vom Tisch. Johnny (Kulturattaché bei der British High Commission) hat mal gesagt, Ausgangssperren verhänge eine Regierung, um die Ordnung wieder herzustellen, um Übeltäter zu schnappen und um „Sachen“ zu machen, die sie bei Tageslicht nicht machen kann.“

Wer verhaftet wird, aus welchem Grund auch immer, hat keine guten Karten, es kann alles mit einem angestellt werden, rechtlos ist man Folter und qualvollem Tod ausgeliefert. Überall suchen Menschen nach ihren Angehörigen und nach Antworten.
Die Rechtlosigkeit und die unerträglichen Menschenrechtsverletzungen, die Shehan Karunatilaka in schonungsloser Offenheit unterbreitet, kann man nur ertragen, indem der Antiheld, der einen promiskuitiven Lebenswandel führt und im Jenseits hockt, schnodderige und zynische Ansichten über Götter und die Welt zum Besten gibt, zum Beispiel die Regel des Universums „Die Geschichte besteht aus Leuten, die über Schiffe und Leute verfügen und alle anderen auslöschen, die solche Sachen noch nicht erfunden haben. Jede Zivilisation beginnt mit einem Völkermord. Das ist die Regel des Universums.“ 

Von Maalis neuem Standort aus entwickelt der Autor das Geschehen. Raffiniert interagieren Jenseits und Diesseits miteinander. Fast ausschließlich durch Dialoge erschließen sich die Geschehnisse. Das ist am Anfang etwas sperrig, aber als der Roman Fahrt aufnimmt, und die Spannung steigt, ob das brisante Filmmaterial, das Maali an seinen Auftraggebern vorbei, versteckt hat, gefunden wird und von wem, vergisst man, was bisher gestört hat: es entsteht ein reißender Fluss. Der Autor spiegelt mit dem homosexuellen und promiskuitiven Fotografen Mali die gesellschaftlichen und politischen Probleme des Landes.

Fazit: Insgesamt hat der Roman einen nihilistischen Unterton. Ob diese Zutat jedem zusagt, muss dahingestellt bleiben. Das Spiel der Interaktion von Diesseits und Jenseits ist dem Autor jedenfalls bestens gelungen, die das Zwischenreich bevölkernden Geister und Götter reflektieren atmosphärisch den Aberglauben Sri Lankas. Trotz all dem Grauenhaften schafft der Autor ein irgendwie tröstliches Ende ohne jedoch der Versuchung zu erliegen, eine heile Welt zu suggerieren. Friede, Freude, Eierkuchen ist also nicht, aber es gibt ein winziges bisschen Hoffnung, denn ein Doppelsatz der Negative befindet sich zwar in äußerst unzuverlässiger Hand, aber immerhin im Ausland. Ausgang ungewiss. 

Kategorie: Anspruchsvoller Roman
Bookerpreisträger 2022
Verlag: Rowohlt, 2023