Rezension

Etwas zu kurz geraten ...

Zeiten der Hoffnung - Karsten Flohr

Zeiten der Hoffnung
von Karsten Flohr

Bewertet mit 3 Sternen

Inhalt:
Deutschland, kurz vor dem 1. Weltkrieg. Der Leser lernt Familie von Schwemer kennen, eine wohlhabende, hoch angesehene Familie in Berlin. Richard von Schwemer, das Familienoberhaupt, will nur das Beste für seine Familie, besonders für seinen Erstgeborenen, Wilhelm, 21. Für ihn hat er große Pläne, langsam soll er in die höheren Kreise eingeführt werden. Wilhelm ist bereits Mitglied im berühmten Husarenregiment des Kaisers, sein Vater nimmt ihm zudem mit auf eine Reise in die Afrikakolonie Togo, wo Wilhelm mit einer besonderen Aufgabe betraut wird, und schließlich findet sich auch eine "gute Partie" für Wilhelm, Charlotte, eine junge Frau aus gutem Hause. Doch möchte Wilhelm all dies? Tief im Herzen schlummert die Liebe für eine Freundin aus Kindheitstagen, Adele. Denn jeden Sommer verbrachte die Familie auf dem französischen Weingut von Helene von Schwemer, Wilhelms französischstämmiger Mutter ...
**************************
Persönliche Meinung:
Auch wenn es in der Inhaltsangabe hier anklingt: Eine Liebesgeschichte, wie im Klappentext angekündigt, findet sich nur am Rande. Gegenstand des Buches ist viemehr ein Porträt der wilhelminischen (Vor-)Kriegsepoche, dargestellt anhand der oben genannten Familie von Schwemer. Ich persönlich war sehr angetan von der Tatsache, dass es sich nicht um eine Liebesschmonzette handelt und große (Liebes-)Gefühle eher dezent eingeflochten wurden. Doch ich kann auch die vielen kritischen Stimmen verstehen, die sich darüber mokieren, nicht das bekommen zu haben, was laut Verlag angekündigt wurde. Die Beziehung zwischen dem Protagonisten Wilhelm und Adele - er in Berlin, sie im Elsass - spielt lediglich eine Nebenrolle.
Was erwartet den Leser dann? Nun, in erster Linie ein Geschichtsroman über den 1. Weltkrieg, die deutsche Gesellschaft zu der Zeit, ihre Sitten und Gebräuche, ihren Verhaltenskodex, aber auch über die ersten Umbrüche wie z.B. den Kampf der Frauen für mehr Rechte. Zur Mitte des Buches konzentriert sich der Autor dann auf die Scharmützel und Gefechte des Krieges, Wilhelm als junger Soldat natürlich mittendrin. Mit seinen Augen erleben wir die Abartigkeit, das Grauen des Krieges, Glück und Pech, welche über das Überleben und den Tod dentschieden haben. An dieser Stelle hat mich das Buch auch zum ersten Mal richtig packen können. Was waren die jungen Männer doch am Anfang noch "heiß" auf den Krieg: Den "Franzmännern" wollte man zeigen, wo sie hingehören, völlig überzeugt war man von einem schnellen Triumph Deutschlands. Und dann diese Katastrophe ... Ein zermürbender Krieg, Heckenschützen, Hinrichtungen, die gähnende Langeweile in den Schützengräben, Schießen, Weitervorrücken, im eiskalten Schlamm hocken und warten ... Der Autor schafft es m.E. in diesem Teil des Buches sehr gut, die Absurdität des Krieges sowie die Desillusionierung der Soldaten greifbar zu machen. Auch die deutsche Besatzung von Elsass-Lothringen wird thematisiert, so dass ich zu diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte noch einiges lernen konnte.
Doch es gibt auch kritische Punkte, die ich nicht verschweigen will.
Vieles reißt Karsten Flohr nur an, führt es aber nicht konsequent aus. Zum Beispiel weiß ich immer noch nicht, was er mit der Figur des Schwarzen Aiauschi wollte, von der Wilhelm so beeindruckt war. Ebenso geht es mir mit Adalberts Krankheit. Wilhelms Bruder leidet an einer Lungenkrankheit, die kein Arzt so recht behandeln kann. Wirkliche Konsequenzen für diesen Charakter oder auch die Geschichte hat dies nicht. Überhaupt fallen viele Charaktere zu flach aus. Von Adele, Wilhelms großer Liebe, konnte ich mir bis zum Schluss leider kein wirkliches Bild machen. Auch ist mir nicht klar geworden, warum die beiden eine so tiefe Liebe verbindet. Richard von Schwemer, am Anfang des Buches noch der dominante, etwas polterige erzkonservative Preuße, taucht nach dem 1. Drittel des Buches leider gar nicht mehr auf. Einzig Elisabeth, Wilhelms Schwester, vermag eine etwas kräftigere Farbe in die Charaktere zu bringen, rebelliert sie doch gegen die bürgerlichen Zwänge auf und schließt sich heimlich der Frauenbewegung an.
Sprache und Schreibstil des Autors sind gelungen, es finden sich keine unnötigen Wiederholungen, die Geschichte schreitet stetig voran. Was mich manchmal etwas verwirrt hat, sind die Zeitsprünge. Bisweilen lässt der Autor Figuren etwas aus ihrer kürzlich erlebten Vergangenheit berichten und ich musste mich erstaml sortieren. Auch ist nicht immer klar, wieviel Zeit zwischen einzelnen Kapiteln verstrichen ist. Zudem kam es mir manchmal so vor, als würden die Figuren in unserer modernen Zeit handeln und sprechen, der Abstand zur heutigen Gegenwart ist mir sprachlich nicht immer deutlich geworden.
*************************
Fazit:
In der Darstellung der Kriegswirren ist das Buch wirklich gelungen, leider gibt es zwei Punkte Abzug für weniger gut und tief ausgearbeiteten Inhalt und Charaktere. Die Liebesgeschichte spielt nur am Rande eine Rolle, wer also nicht auf große Gefühle und Küsse verzichten will, greife eher zu einem anderen Buch. Wer jedoch in die Zeit des Ersten Weltkriegs und die spätwilhelminische Epoche eintauchen möchte, dem kann ich das Buch mit seinen etwa 350 Seiten guten Gewissens empfehlen.
3 von 5 Sternen