Rezension

Familienerbe...

Mitgift -

Mitgift
von Henning Ahrens

Ein leiser Roman voll innerer Bedrückung - die Geschichte eines Bauernhofs über zwei Jahrhunderte hinweg, Erbe als Verpflichtung mit Opfern.

Seit sieben Generationen in Folge bewirtschaften die Leebs ihren Hof in der niedersächsischen Provinz. Schließlich gilt es, das Familienerbe zu wahren – allen historischen Umbrüchen zum Trotz. Doch über die Opfer, die jeder Einzelne erbringen muss, wird geschwiegen. Henning Ahrens erzählt den Roman einer Familie und entwirft ein Panorama der ländlich-bäuerlichen Welt des 20. Jahrhunderts.

Gerda Derking kennt sich aus mit dem Sterben. Seit Jahren richtet sie die Toten des Dorfes her, doch in jenem August 1962 würde sie die Tür am liebsten gleich wieder schließen. Denn vor ihr steht Wilhelm Leeb – ausgerechnet er, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Wilhelm, der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft aus Polen zurückkehrte. Der gegen Frau und Kinder hart wurde, obwohl sie jahrelang geschuftet hatten, um Hof und Leben zu verteidigen. Doch nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Und Gerda Derking ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen. (Klappentext)

Im Zentrum der Erzählung steht die gealterte Totenfrau Gerda Derking und vor allem die Familie Leeb, die in dem Dorf nahe Peine seit Jahrhunderten einen Bauernhof besitzt. Dieser gegenwärtige Erzählstrang wird jedoch immer wieder unterbrochen durch Sprünge in die Vergangenheit, so dass zwei ganze Jahrhunderte und damit sieben Generationen der Leebs hier Raum finden. Dabei wird nicht chronologisch vorgegangen, sondern scheinbar willkürlich in der Zeit vor- und zurückgesprungen - von 1755 bis 1962. 

Erschwert wird die Lektüre dadurch, dass die Erstgeborenen der jeweiligen Generationen alle Wilhelm heißen, gerne mit unterschiedlichen Zweitnamen, aber durchaus verwirrend. Dadurch brauchte ich manchmal ein wenig, um mich wieder orientieren und das Geschehen zeitlich einordnen zu können. Deutlich wird jedoch, dass das Familienerbe zu jeder Zeit durchaus mit Belastungen für den Erben verbunden ist.

Es steht eine unausgesprochene Erwartung im Raum, dass der jeweils älteste Sohn selbstverständlich den Hof übernehmen wird, ob er das nun möchte oder nicht. Eigene Lebenspläne oder -ziele zählen nichts, der Hof und die Tradition gehen vor, eingebunden noch dazu in das enge Korsett des dörflichen Lebens, wo jeder jeden kennt und man auch da seine Rolle zu spielen hat. Es wird auch nicht aus Liebe geheiratet, sondern geschaut, dass die zukünftige Frau eine möglichst hohe Mitgift mit in die Ehe bringt, wodurch der Hof wachsen und gedeihen kann. 

Deshalb wurde seinerzeit auch die Totenfrau Gerda Derking von einem der Wilhelm Leebs abserviert als es ums Heiraten ging. Alte Wunden, von Schorf bedeckt mittlerweile, aber eben doch noch erinnerlich. Gerda hat einen ganz eigenen Blick auf die Geschehnisse auf dem Hof der Leebs, ebenso wie auf die Ereignisse und Menschen im engen Dorfgefüge. Dass nun ausgerechnet ihre Dienste bei der alteingesessenen Bauernfamilie gefragt sind, deutet auf ein großes Unglück hin. Doch was ist geschehen?

Um sich ein wenig Freiheit zu erkaufen, waren etliche der Wilhelms im jeweils aktuellen Krieg involviert, zuletzt im 1. und 2. Weltkrieg. Vor allem die Ereignisse um den aktuellen Hofbesitzer, der freiwillig in den Krieg unter Hitler gen Osten zog, bilden einen erzählerischen Schwerpunkt des Romans. Dabei schwenkt die Erzählung zwischen den Geschehnisssen bei Wilhelm im Osten und denen auf dem heimatlichen Hof hin und her, was die Unterschiedlichkeit des Erlebens sehr verdeutlicht.

Grundlage dieser Schilderungen sind lt. Nachwort des Romans Briefe und Tagebücher des eigenen Großvaters des Autors. Eigentlich müsste der gegenwärtig Erzählstrang später angelegt sein, doch wollte Henning Ahrens, geboren 1964, seine eigene Person vollkommen heraushalten aus der Erzählung. Die Themenwahl erklärt sich daher aus dem biografischen Hintergrund des Autors.

Einen leisen Roman hat Henning Ahrens da geschrieben, der, abgesehen von den ständigen Zeitsprüngen, flüssig zu lesen ist. Einerseits ist er durchzogen von intensiven und sehr bildhaften Naturschilderungen, andererseits transportiert er trotz des eher neutralen Schreibstils das Bedrückende eines erzwungenen Landlebens äußerst nachfühlbar. Ein doch recht melancholisches Leseerlebnis...

Wäre der Roman nicht auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises gelandet, wäre ich wohl nicht darauf gestoßen, weil historische Romane nicht zu meinen bevorzugten Genres gehören. Während der Lektüre fühlte ich mich dann aber auch unversehens an meine eigene enge Familiengeschichte erinnert - nicht nur weil mein Großvater mütterlicherseits auch Wilhelm hieß und einen Bauernhof im ländlichen Niedersachsen besaß... Insofern erschien mir vieles hier sehr authentisch.

Kein schnell zu lesendes Buch, aber eines mit Aussagekraft...

 

© Parden