Rezension

Familiengeschichte

Fast ein Leben - Petra Mader

Fast ein Leben
von Petra Mader

Bewertet mit 5 Sternen

„Oma, erzähl doch mal von früher.“  -  „Was soll ich denn erzählen?“ - „Naja, wie es war. Früher daheim. Oder wie du in Stellung warst. Was du gern geworden wärst.“ - „Gworda? Früher isch mer nix gworda. Do hot jeder sei Sach gschafft.“ - „Oder was du anhattest.“ - „En Schurz … Al Kend han i emmer en Schurz aket - wie älle andere au.“

 

Solch ein Dialog (S. 127) entwickelt sich zwischen der Erzählerin Susanne und ihrer Oma Rosa bei Susannes Versuch, mehr zu erfahren über das Leben ihrer Großmutter. Doch die Oma bleibt einsilbig, und als sie im Alter in tiefer Demenz versinkt, sind von ihr ohnehin keine Antworten mehr zu erlangen. Deshalb trägt Susanne die Geschichte ihrer Oma aus den fragmentarischen Informationen der Verwandten verbunden mit eigenen Erinnerungen zusammen. Heraus kommt dabei folgendes:

 

Rosa wird 1908 unehelich geboren und wächst mit 10 Geschwistern auf dem Hof ihres Stiefvaters im Schwäbischen auf. In den 20er Jahren wird sie selbst ledige Mutter. Das Kind wird in den ersten Lebensjahren von ihrer Schwester großgezogen, während sie eine Stellung als Dienstmädchen in Stuttgart antritt. Dort lernt Rosa ihren zukünftigen Mann Heinrich kennen. Mit ihm bekommt sie noch drei Kinder, erlebt den Zweiten Weltkrieg mit seinen Entbehrungen, Heinrichs langer Abwesenheit in Kriegsgefangenschaft, einer Vergewaltigung. Nach Heinrichs Heimkehr ist Rosas Liebe zu ihm erloschen. Sie bleibt dennoch bei ihm. Weitere Schicksalsschläge treffen Rosa - der Tod ihrer beiden erstgeborenen Söhne, die Beinamputation Heinrichs, schließlich auch sein Tod. Rosa selbst verstirbt mit über 85 schwer dement im Altersheim.

 

Diese Lebensgeschichte erzählt Susanne in sehr berührender Weise. Rückschauen auf Rosas Vergangenheit erfolgen im steten Wechsel mit der Beschreibung von Rosas gegenwärtigem Leben im hohen Alter, als sie bereits aufgrund ihrer Demenz keine Erinnerungen mehr hat und ihre Angehörigen nicht mehr erkennt.

 

Mit dem Thema Demenzerkrankung setzt sich die Autorin behutsam und lebensecht auseinander. Eine gute Recherchearbeit wird erkennbar.

 

Akribisch sind die Nachforschungen über die Oma. Diese steht stellvertretend für so viele Frauen ihrer Generation, aufgewachsen zu einer Zeit, als noch andere Wertvorstellungen als heute herrschten. Geprägt durch ihren katholischen Glauben, hat Rosa ihre Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter nie in Frage gestellt. Konventionen und die Meinung anderer Leute waren ihr immer wichtig. Möglicherweise hatte sie einmal andere Wünsche, diese aber unterdrückt. Wie Susanne werden wir nicht mehr erfahren, ob Rosa es ernst meinte  mit ihrer im Alter gemachten Äußerung „Wenn i’s nomol zom do hätt, däd i au alloi bleiba ond mei Geld für mi verbraucha.“

 

Das Schwäbische sollte der Leser schon verstehen können, denn Rosas Äußerungen sind alle mundartlich gehalten, was gut zu ihrem Typ als bodenständige Schwäbin passt.

 

Ein sehr schöner Roman, der Anregung sein kann, die eigene Familiengeschichte zu erforschen.